Eine Szene, wie sie sich Wochenende um Wochenende auf sämtlichen Hamburger Fußballplätzen ereignen könnte: Ein Pfiff, ein Aufschrei, und schon brennt eine wilde Diskussion los. „Handspiel!“, ruft einer. „Aber kein absichtliches!“, rufen andere. Sven Reinhart (SC Eilbek) schmunzelt. „Lasst uns das Ganze noch einmal angucken.“, sagt er grinsend und startet das Video erneut.
Es ist das erste Aprilwochenende 2022: Das Vorstandsteam des BSA Nord kann dabei beobachtet werden, einer Gruppe von jungen Erwachsenen die DFB-Regelkunde näherzubringen. Das Besondere daran – diesmal handelt es sich beim Tatort nicht um den Strafraum eines Oberligisten, sondern um einen Klassenraum des Gymnasium Lerchenfeld. „Schiedsrichteranwärter*innen-Lehrgang“ steht auf dem Hinweisschild vor der Klassenzimmertür. Dahinter, auf ein paar Schreibtischen verteilt, befindet sich eine wissenshungrige Meute fußballbegeisterter Männer und Frauen; alle erpicht darauf, eine ganz neue Seite des besten Sports der Welt kennenzulernen.
Los geht es am Freitagabend. Kennenlernen, austauschen, das Eis brechen. Beweggründe, Schiedsrichter werden zu wollen, gibt es viele: Vom Wiedereinstieg nach einer kleinen Verschnaufpause über Verantwortungsübernahme und bis hin zu aktiven Trainern, die einmal die Schiedsrichterperspektive kennenlernen möchten, ist alles vertreten.
Das Team um Lehrgangsleiter Sven Reinhart stellt sich ebenfalls vor; komplettiert wird es durch dessen Vorstandskollegen Alexander Teuscher (SC Eilbek), Patrick Hiebert (BU) und Christian Lüders (TSV Wandsetal), allesamt sympathische, aufgeschlossene und herzliche Männer. Den Anwärtern ist schnell bewusst, dass sie es mit einem sehr erfahrenen Team zu tun haben, das auf viele Jahre Schiedsrichterei, Erfahrung und Expertise zurückblicken kann. Nach abgeschlossener Kennenlernrunde wird auch schon eingetaucht in die ersten Fußballregen: Eckstoß, Einwurf und Abstoß.
17 Fußballregeln in zwei Tagen? Kein Problem!
In den darauffolgenden zwei Tagen widmet sich Sven mit den Teilnehmenden des Lehrgangs intensiv den 17 Fußballregeln. Die neue Anwärtertruppe der liebevoll als „Pfeifenakrobatiker“ bezeichneten Schiedsrichter zeigt sich dabei nicht nur außerordentlich motiviert, sondern auch sehr lernstark. All das, was man bisher auf dem Platz intuitiv richtig gemacht zu haben scheint, bekommt nun merkwürdige Bezeichnungen (und mitunter auch Zahlen); es fallen Begriffe wie „persönliche Strafe“, „aussichtsreiche Torchance“ und „Doppelberührung“ – und für manch einen klingt die ein oder andere Regel tendenziell eher skurril. Die Anwärter*innen lernen, dass das Runde zwar irgendwie noch immer ins Eckige muss, aber das Eckige gar nicht zwingend immer eckig sein muss, dass eine Abseitsstellung noch lange kein Abseitsvergehen bedeutet und eine sogenannte Notbremse in einem Ausnahmefall lediglich mit einer Verwarnung geahndet wird. Sven und seine Kollegen sind mit Witz, Verstand und Herzblut bei der Sache, beantworten Fragen, erklären, wiederholen, erklären nochmal. Und nochmal. Untermalt wird das didaktische Feuerwerk mit anschaulichen Präsentationsfolien und vielen spannenden (und echten!) Videobeispielen – aus der Praxis für die Praxis. Irgendwann rauchen allen die Köpfe, aber auch das kann das begeisterte Grinsen nicht ansatzweise aus den Gesichtern der zukünftigen Schiedsrichter wischen. Nach der Mittagspause, in der leckere belegte Brötchen, Süßigkeiten und Fluten an Kaffee, Softdrinks und anderen erfrischenden Getränken gereicht werden (die Platzverhältnisse sind wirklich hervorragend!) geht es mit frisch aufgeladenem Akku auch schon weiter in die komplexen Tiefen der Verstöße und Sanktionen.
Sonntag = Prüfungstag
Und plötzlich ist Sonntagmittag. Trotz der sehr guten Vorbereitung und der schier unermesslichen Wissbegierde kann man die kribbelnde Nervosität, die in der Luft liegt, fast greifen. Stifte kratzen über das Papier, Kreuze werden ausradiert und Prüfungsblatt um Prüfungsblatt wird mit zitternden Fingern in die Hände des VSA-Prüfers Sven Ehlert (Groß-Flottbek) gereicht. Zwei Stunden später dann die Gewissheit: Ausnahmslos alle haben bestanden! Ein Hoch auf die frisch gebackenen Regelhüter des BSA Nord!
Nun folgen in naher Zukunft die ersten Spiele, zuerst mit Superversion, irgendwann selbstständig. Bei guter Leistung besteht die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln immer höher zu pfeifen. Und wer weiß? Vielleicht sieht man den ein oder anderen in einigen Jahren das DFB-Pokalfinale pfeifen, oder die Champions League, oder beides. Der Grundstein wurde jedenfalls gelegt. Eins ist jedoch klar: Sollten wir einmal mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und gefragt werden: „Was machst du bei einer Doppelberührung?“ So würde ausnahmslos jeder innerhalb eines Sekundenbruchteils „Indirekter Freistoß!“ rufen, sich umdrehen, weiterschlafen und vom DFB-Pokalfinale träumen. Oder der Champions League. Oder beidem.
Herzlichen Glückwunsch! Der HFV wünscht allen neuen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern des BSA Nord einen guten Start ins neue Ehrenamt!