DFB-Arzt: Worauf es bei der Rückkehr des Amateursports ankommt

Allmählich kommt der Amateurfußball wieder in Bewegung. Sinkende Inzidenzen und steigende Impfzahlen sorgen endlich für erste Öffnungsschritte im Sport, eine langsame Rückkehr in den Trainingsbetrieb und zarte Perspektiven für den Spielbetrieb. Von einer zufriedenstellenden Situation für den in der Pandemie oft vergessenen Amateur- und Breitensport kann aber bundesweit betrachtet noch keine Rede sein.

Warum ist die flächendeckende Rückkehr des Sports sinnvoll? Worauf ist für Vereine, Trainer*innen und Sportler*innen besonders zu achten? Sind Inzidenzen weiterhin die wichtigste Währung? Und warum ist Fußball eigentlich gesund?

 FUSSBALL.DE hat dazu mit Prof. Dr. Tim Meyer, Vorsitzender der Medizinischen Kommission des DFB und aktuell mit der Nationalmannschaft im EURO-Trainingslager in Seefeld, gesprochen. Der 53-Jährige besetzt seit Oktober 2008 die W3-Professur für Sport- und Präventivmedizin an der Universität des Saarlandes und gehört seit 2001 zum Ärzteteam der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

FUSSBALL.DE: Prof. Dr. Meyer, wieso ist die Wiederzulassung des geregelten Trainings- und Wettkampfbetriebs im Amateursport sinnvoll und zu empfehlen?

Prof. Dr. Tim Meyer: Der erste Grund ist nicht neu, wurde aber leider bei den Entscheidungen bislang wenig beachtet. Die Gefährdung einer SARS-CoV-2-Übertragung beim Freiluftsport ist sehr gering, dafür sprechen alle verfügbaren Daten – auch wenn es grundsätzlich schwer ist, etwas zu beforschen, wenn es verboten ist, so wie es beim Breitensport in den vergangenen Monaten der Fall war. Der zweite Punkt, der für eine Öffnung spricht: Die Pandemie nimmt ab, es besteht also generell eine geringere Gefahr. Es ist außerdem anzunehmen, dass dies kein vorübergehender Trend ist. Drittens: Es gibt immer mehr Geimpfte auch unter den Spielern. In der Kombination dieser drei Aspekte sind starke Einschränkungen bis hin zu Verboten für den Freiluftsport aus meiner Sicht nicht mehr ohne Weiteres begründbar.

Lange war Training nur in Zweier-Gruppen möglich, für Kinder in Fünfer-Gruppen. Zudem gab es Abgrenzungen zwischen Personen unter und über 14 Jahren. Was ist aus medizinischer Sicht grundsätzlich von diesen Regelungen zu halten?

Meyer: Letztlich waren und sind das administrativ angehauchte Regelungen, die keinen wissenschaftlichen, sondern eher einen pragmatischen Hintergrund haben. Beispiel Zweier-Gruppen: Das ist letztlich die geringste Größe, um nicht ganz allein Sport treiben zu müssen – also legt man zwei Personen fest. Andere definierte Größen wie 5, 10 oder 20 Personen sind offensichtlich vor allem vom Dezimalsystem bestimmt, aber nicht von der Frage, wie ich Einschränkungen sportgerecht vornehmen kann. Da steckt schon einiges an Willkür drin, so wie auch in den Altersbeschränkungen.

Was ist an Sport, was ist speziell an Fußball eigentlich so gesund?

Meyer: Da muss man nach Alter unterscheiden. Im Ü-Bereich, also bei Älteren, reduziert sportliche Betätigung Krankheiten und verlängert das Leben. Das gilt auch für den Fußball. Bei Kindern kommt stärker die psychologische Komponente ins Spiel, sie haben beim Fußball die Möglichkeit, ihrem Bewegungsdrang in der Gemeinschaft nachzugehen. Am Fußball ist unter anderem gesund, dass er eine hohe Ausdauerkomponente beinhaltet. Die Ausdauer ist der am besten erforschte Bereich, welcher der Gesundhaltung dient. Darüber hinaus ist der Fußball vielfältig, er enthält verschiedene weitere alltagsrelevante Belastungskomponenten, die geschult werden, beispielsweise Kraft und Beweglichkeit.

Umgekehrt gefragt: Was ist an der latenten Bewegungslosigkeit, die in den vergangenen Monaten im Amateur- und Breitensport herrschte, so gefährlich?

Meyer: Bei Älteren erhöht sich die Gefahr, organisch-gesundheitliche Probleme zu bekommen oder zu verschärfen, beispielsweise ein übergewichtiger Diabetiker, der sein Gewicht schwerer hält und schlechter eingestellt werden kann. Kinder dagegen bekommen nicht gleich konkrete Organprobleme, aber sie werden natürlich dennoch stark eingeschränkt. Bereits vor Corona gab es die Problematik, dass sich laut WHO-Studie rund 80 Prozent der Kinder sportlich zu wenig betätigen, unter anderem aufgrund der Verlagerung der Freizeitaktivitäten in den digitalen Bereich. Diese Entwicklung wird durch eine Einschränkung von Sportangeboten nicht besser.

Nicht nur der gesamte Amateursport schaut regelmäßig gebannt auf die Inzidenzwerte. Sind Inzidenzen tatsächlich die sinnvollste Währung für Entscheidungen über Lockerungen oder Verschärfungen für den Sport?

Meyer: Ich kann es verstehen, weil man Anhaltspunkte braucht. Sonst wären Entscheidungen reine Willkür. Gleichzeitig dürfen diese Anhaltspunkte auch nicht zu kompliziert sein, sonst sind sie nicht vermittelbar. Mit zunehmendem Erfolg der Impfkampagne jedoch sind Inzidenzwerte immer weniger wichtig und aussagekräftig. Das Hauptargument für die Einschränkungen und Verbote war stets, schwere Krankheitsverläufe zu minimieren und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Von einer solchen Überlastung sind wir momentan weit entfernt.

Auf was ist beim Re-Start des Amateursports besonders zu achten?

Meyer: Das ergibt sich aus dem Grundsatz: Draußen bleiben, Nähe meiden. Gegebenenfalls sollten also die Duschen und Umkleidekabinen noch einige Wochen geschlossen bleiben. Es ist angesichts des schöner werdenden Wetters auch zu empfehlen, Besprechungen an der frischen Luft abzuhalten und bei Gesprächen auf Abstand zu achten. Auf dem Spielfeld kann nicht auf Abstand geachtet werden und es ist auch nicht erforderlich, weil die Bewegungen und Kontakte dort sehr flüchtig sind. Das ist anders, wenn man sich 30 Minuten Nase an Nase gegenüber steht und unterhält. Um es nochmal zu unterstreichen: Eine Sportart nur halb zu erlauben, ergibt für mich keinen Sinn.

Was sollten Trainer*innen und Sportler*innen bei der Wiederaufnahme des Trainings- und Spielbetriebs beachten?

Meyer: Eine schnelle Änderung der Belastung bedeutet eine erhöhte Verletzungsgefahr. Von Null auf 100 – das geht nicht gut. Heißt: Ball in die Mitte legen und einfach wieder loslegen macht wenig Sinn. Eine stufenweise Steigerung des Trainings und der Belastung ist dringend anzuraten. Ich möchte das auch gar nicht verkomplizieren für den Amateurbereich, ein vernünftiges Augenmaß hilft da schon. Dazu gehören präventive Übungen zur Kräftigung und Stabilisierung. Die sind nicht immer spannend für Fußballer*innen, aber nötig. Ich will aber nicht nur warnend den Zeigefinger heben. Es muss und soll wieder losgehen. Wir freuen uns alle, wenn wieder überall gekickt wird.

[DFB/ Jochen Breideband]

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