Der Amateurfußball kämpft weiter um mehr Anerkennung und die ersehnte Rückkehr in einen geregelten Trainings- und Wettkampfbetrieb. Mehr als 85.000 Menschen haben bisher die gemeinsame Petition des DFB und DOSB für die flächendeckende Wiederzulassung des Freiluftsports unterschrieben. Der Amateursport will endlich stärker Gehör erhalten – und vor allem Beachtung in den Entscheidungen. Draußen muss drin sein!
Jetzt unterschreiben – hier geht es zur Petition für den Amateur- und Breitensport.
Ronny Zimmermann ist als zuständiger DFB-Vizepräsident für den Jugendfußball und als Präsident des Badischen Fußballverbandes mittendrin im Geschehen. Im Interview spricht der 60-jährige Rechtsanwalt, einst Torjäger in der Verbandsliga, über die schwierige Situation des Amateurfußballs, die Wichtigkeit der Petition, dringend notwendige Verbesserungen, die Rolle der Verbände und seinen optimistischen Blick nach vorne.
DFB.de: Herr Zimmermann, die Petition für den Amateursport steuert auf die Marke von 100.000 Unterstützer*innen zu. Wie beurteilen Sie die Resonanz, die Sie auch direkt von Vereinen erhalten?
Ronny Zimmermann: Total positiv. Natürlich gibt es auch vereinzelt kritische Stimmen, die das Vorgehen als verspätet betrachten, das ist verständlich. Doch mehrheitlich sehe ich eine klar unterstützende Haltung. Der ideale Zeitpunkt für einen offensiven Vorstoß war schwer zu finden. Wir wollten uns in der Pandemie immer hochgradig verantwortungsvoll verhalten und mussten dafür die bundesweite gesundheitliche Lage im Auge behalten. Wichtig beim Kämpfen ist, dass man eine realistische Erfolgschance hat. Die sehe ich jetzt. Klar ist: Im kompletten Amateursport ist eine riesengroße Sehnsucht zu spüren, endlich wieder richtig Sport treiben zu können. Dafür ist es nun höchste Zeit. Die weiterhin gravierenden Einschränkungen und Verbote sind vor dem Hintergrund aller bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr nachvollziehbar.
DFB.de: Training ist nicht mehr komplett verboten. Warum ist die Situation für den Fußball trotzdem frustrierend und untragbar?
Zimmermann: Zum einen sind die Gruppengrößen, die vielerorts vorgegeben sind, für den Fußball als Mannschaftssport problematisch. Hier sind dringend Verbesserungen nötig, um nach dem Mannschaftstraining auch Spiele und Wettbewerbe wieder zu ermöglichen. Hinzu kommt die Komplexität der Verordnungen für den Sport. Allein deren Formulierung und Ausgestaltung überfordern nahezu jeden Ehrenamtlichen. Wenn ich als Jurist die bestehenden Vorgaben dreimal lesen muss und immer noch viele Verständnisfragen habe, lässt das tief blicken.
DFB.de: Wie sehen Ihre Forderungen aus?
Zimmermann: Wir brauchen zielführende, präzise formulierte Lösungen, die für jeden verständlich und auch in einem ehrenamtlichem Umfeld umsetzbar sind. Wir brauchen politische Entscheidungen, die sich – wie auch von der Gesellschaft für Aerosolforschung gefordert – nicht mehr alleine an Inzidenzen ausrichten. Es muss endlich stärker berücksichtigt werden, dass gemäß aller vorliegenden Fakten das Ansteckungsrisiko beim Sporttreiben unter freiem Himmel minimal und kein Pandemietreiber ist. Zusammengefasst: Auf dem Spielfeld muss Fußball ohne Einschränkungen möglich sein, abseits des Spielfelds mit den entsprechenden Hygienekonzepten.
DFB.de: Haben die Verbände schon an drastischere Maßnahmen wie eine Klage gedacht?
Zimmermann: Ich verstehe den Frust vieler Vereine. Von Klagen halte ich aber nicht viel, obwohl oder gerade weil ich Jurist bin. Ein vernünftiges Miteinander ist aus meiner Sicht deutlich hilfreicher als Konfrontation und Misstrauen. Die besten Lösungen werden im Dialog gefunden. Ich bin weiter optimistisch, dass wir das auch jetzt für den Amateursport schaffen. Sollte allerdings keine Besserung eintreten, müssten wir irgendwann über den nächsten Schritt nachdenken. Das könnte dann auch ein juristischer sein, das will ich nicht kategorisch ausschließen.
DFB.de: Der Amateur- und Breitensport scheint trotz seiner 27 Millionen Mitglieder relativ wenig Beachtung zu finden und in den Entscheidungen oft unberücksichtigt zu bleiben. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Zimmermann: Realistisch betrachtet ist es so, dass Fußball in den Medien und der Politik grundsätzlich meist über den Profifußball Beachtung findet und wahrgenommen wird. In anderen Sportarten ist das sogar noch dramatischer. In der Pandemie konnten wir im Amateurfußball bis zu Beginn des zweiten Lockdowns im November 2020 noch recht zufrieden sein. Wir wurden durchaus gehört, hatten im Spätsommer und Herbst einen relativ geregelten Fußballbetrieb. Jetzt fühlt sich das anders an. Wir erhalten bislang auch keine Begründung, warum wir als Amateursport weiter verhindert werden. Das ist enttäuschend, zumal wir in den vergangenen Monaten viele Argumente und Belege für den Sport geliefert haben.
DFB.de: Welche Rolle spielt die Führungskrise beim DFB dabei? Haben die Verbände zu wenig getan und sich zu viel um sich selbst gekümmert?
Zimmermann: Die Führungskrise hat bei diesem Thema aus meiner Sicht keine Rolle gespielt. Das kann ich klar verneinen. Die Sacharbeit ist nicht liegen geblieben. Zudem waren und sind sich alle im Verband einig, wie wichtig es ist, sich für die schnellstmögliche Wiederzulassung des Amateurfußballs einzusetzen. Da gibt es in unseren Gremien keine zwei Meinungen – unabhängig von sonstigen Differenzen. Richtig ist aber: Wir müssen dem Amateurfußball öffentlich und politisch insgesamt eine andere Lobby, eine lautere und nachdrücklichere Stimme geben. In diesem Zusammenhang sollten wir uns auch im gesamten System der Sportverbände mit DOSB und Landessportbünden zusammensetzen, eine genaue Analyse vornehmen und gemeinsam über unsere Rollen sowie die Aufgabenverteilungen sprechen.
DFB.de: Abschließend: Wie fällt Ihr Blick nach vorne aus?
Zimmermann: Leider habe ich keine Glaskugel. Ich bin und bleibe aber gnadenloser Optimist. Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Augusts im Amateurbereich in die Wettbewerbe starten und die Saison dann auch komplett absolvieren können. Vorher werden die Mannschaften nach der langen Pause sicher eine Vorbereitung von rund sechs Wochen benötigen. Bei den Spielsystemen könnte man vielleicht eine Spur kreativer sein, zum Beispiel eine einfache Runde spielen und flexibel je nach verbleibender Zeit eine Auf- und Abstiegsrunde oder Play-offs anschließen. Die Statuten würden es grundsätzlich hergeben. Allerdings ist der Fußball ein sehr traditionalistisches System, auch in den Klubs. Bisher war es so, dass sich die Mehrzahl der Vereine dann doch den klassischen Modus mit Hin- und Rückrunde gewünscht haben.
[jb]