Sein Posten stand Ende März bei der Fachversammlung der Schiedsrichter nicht zur Wahl, als die neuen Beisitzer im Verbands-Schiedsrichterausschuss (VSA) gewählt wurden.
Dennoch haben wir bei Christian Soltow einmal nachgefragt, welche Themen für ihn in den weiteren zwei Jahren als Vorsitzender Priorität haben im VSA und wo gerade jetzt die Probleme liegen.
HFV: Hallo Christian, du bist mittendrin in deiner Amtszeit als Vorsitzender, aber dein Bereich findet sich gerade neu zusammen: Im Februar und März wurde in den Bezirks-Schiedsrichterausschüssen gewählt, Ende März fand die Wahl der Beisitzer im VSA statt. Welche Themen stehen jetzt ganz oben auf der Agenda?
Christian Soltow: Ich freue mich, dass wir die Fachversammlung und die acht Bezirks-Wahlen hinter uns gebracht haben – auch dank der Unterstützung der Geschäftsstelle, insbesondere von Jörg Timmermann und Dominik Voigt. Wir haben nur in zwei Bezirken Veränderungen, es gibt also eine relativ hohe Konstanz in den Ausschüssen. Personell sind wir jetzt gut aufgestellt und ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Ich finde es gut und wichtig, dass wir jetzt drei Beisitzerinnen in den Bezirken haben und eine Beisitzerin im VSA. Ich möchte mich auch nochmal für die geleistete Arbeit in den letzten Jahren, und vor allem im letzten Jahr, bedanken – das war sicher nicht einfach. Von heute auf morgen den persönlichen Kontakt mit den Aktiven, mit den Obleuten, nicht mehr zu haben, und schnellstmöglich auf den digitalen Austausch umzustellen, war eine große Herausforderung. Aber das haben alle Bezirke letztlich sehr gut gemacht und haben auch ihre Vereins-Obleute und Schiedsrichter*innen entsprechend abgeholt. Wir hoffen, dass wir dadurch keine großen Verluste an Schiedsrichter*innen haben.
Denn natürlich besteht aufgrund der aktuellen Lage und der damit einhergehenden fehlenden persönlichen Kontakte die Herausforderung, die aktiven Schiedsrichter*innen zu halten und gleichzeitig neue Schiedsrichter*innen zu gewinnen. Außerdem sollen die Schiedsrichter*innen natürlich gefördert werden, um in die höheren Klassen aufsteigen zu können – sodass auch der eine oder die andere den Sprung in den Profifußball schafft. Das sind die Themen, die wir angehen, auch unabhängig von der Pandemie, aber Corona macht die Sache nicht einfacher. Ob und wie viele Schiedsrichter*innen wir durch den Stillstand verlieren, werden wir erst sehen, wenn es wieder richtig losgeht.
HFV: Gibt es dafür schon Anhaltspunkte?
Christian Soltow: Grundsätzlich gibt es jedes Jahr Schiedsrichter*innen, die aufhören. Wir bilden jährlich rund 400 bis 600 Schiedsrichter*innen neu aus und die gleiche Zahl verlieren wir. Die Fluktuation ist also da, aber auch eine gewisse Konstanz. Wie groß die Zahl der Aufhörenden dieses Jahr ist, werden wir aber erst sehen können, wenn es wieder losgeht. Auch und vor allem im Schiedsrichter-Bereich hat die Gemeinschaft stark gelitten. Der Kontakt ist zwar weiterhin da, aber natürlich nicht vergleichbar. Man sieht sich nicht auf dem Platz, bei Lehrabenden oder beim Training. Da ist es sicherlich möglich, dass jemand neue Hobbys entdeckt, oder das Pfeifen an den Wochenenden nicht vermisst. Aber das können wir jetzt noch nicht abschätzen.
HFV: Als junge*r, frisch gebackene*r Schiedsrichter*in seit über einem Jahr keine Chance haben, aktiv zu sein, stelle ich mir hart vor. Haben sich denn trotzdem neue Schiedsrichter*innen ausbilden lassen?
Christian Soltow: Im Frühjahr 2020 gab es noch Interessenten-Listen, von Leuten, die schon vor Corona daran interessiert waren. Die haben dann auch Lehrgänge absolviert. Aber dadurch, dass die Lockdowns – der erste im März und der zweite im Herbst 2020 – auf die Termine für die Lehrgänge fielen, mussten leider auch Lehrgänge abgesagt werden. In Summe gab es also weniger Lehrgänge. Und für die Absolvent*innen ergab sich natürlich dann das Problem, sich größtenteils nicht auf dem Platz beweisen zu können, das stimmt. Ob die Motivation, die zur Zeit des Lehrgangs da war, auch weiterhin aufrechterhalten werden konnte und kann, ist die Frage. Diese jungen Schiedsrichter*innen erreicht nicht der VSA, und auch nicht der Bezirk – das liegt primär an den Vereinen, den Kontakt zu halten und sie zu motivieren.
HFV: Dass das Vereinsleben und der persönliche Austausch nicht nur für Spieler*innen und Trainer*innen wegfällt, sondern auch für die Schiedsrichter*innen, hast du schon angesprochen. Welche Dinge sind im Schiedsrichter*innen-Bereich außerdem auf der Strecke geblieben?
Christian Soltow: Beispielsweise war vor der Pandemie Gewalt auf den Fußballplätzen ein großes Thema in Hamburg, da es hier einige Vorfälle gab. Wir hatten das Thema auch in den Ausschüssen bereits 2019 aufgegriffen, eine Arbeitsgemeinschaft zur Gewaltprävention gestartet und auch konkrete Maßnahmen und Konsequenzen erarbeitet in der AG. Dieses Thema ist durch die Pandemie komplett untergegangen und konnte bisher noch gar nicht vollständig implementiert werden.
HFV: Bei allem Negativen, was die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat – Gibt es auch etwas Positives, wenn du auf den Schiedsrichter*innen-Bereich schaust?
Christian Soltow: Natürlich ist das letzte Jahr ein verlorenes gewesen, auch für die Schiedsrichter*innen. Weil wir keine neuen Schiedsrichter*innen in dem Maße wie sonst gewinnen konnten, aber gleichzeitig die Gefahr sehr groß ist, dass wir einen größeren Teil verlieren. Außerdem gab es keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Trotzdem haben wir das ein oder andere gelernt: Dass Videokonferenzen gut funktionieren, dass die Teilnahme-Quote an Videokonferenzen bei den Vereins-Obleuten, aber vor allem auch bei den aktiven Schiedsrichter*innen, teilweise sogar höher war als bei Präsenzveranstaltungen. Insbesondere junge Schiedsrichter*innen nehmen überwiegend lieber an einer Online-Veranstaltung teil, anstatt ins Klubhaus zu fahren. Da spielt je nach Bezirk auch die örtliche Distanz eine Rolle. Wir haben also die positive Erkenntnis, dass wir Hybrid-Veranstaltungen – also ein Mix aus Präsenz- und Digital-Anteilen – sehr gut integrieren können und auch in Zukunft sollten.
HFV: Wir sprechen die ganze Zeit von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen. Das Gender-Sternchen [*] ist dir wichtig, hast du im Vorfeld unseres Gesprächs erzählt. Da brennt mir etwas anderes unter den Nägeln: Denn mit drei Frauen in den BSA und einer Frau im VSA lassen sich doch recht wenige weibliche Vertreterinnen in den Schiedsrichter-Ausschüssen finden. Inwiefern wird das als problematisch gesehen?
Christian Soltow: Es ist in der Tat so, dass wir zu wenig Schiedsrichterinnen haben. Rund 120, 130 Schiedsrichterinnen stehen fast 3.000 männlichen Kollegen gegenüber. Da ist es offensichtlich, dass die Frauen unterrepräsentiert sind. Natürlich sind die Mannschaften auch nicht 50:50 verteilt, es gibt schon eindeutig mehr Männer-Teams hier in Hamburg. Trotzdem ist es so, dass wir nicht alle Frauen-Spiele mit Schiedsrichterinnen besetzen können. Gemeinsam mit Kirstin Warns-Becker, VSA-Verantwortliche für die Schiedsrichterinnen, den Bezirken und dem Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball setzen wir uns dafür ein, dass es mehr weibliche Schiedsrichter gibt, und diese auch in den oberen Ligen eingesetzt werden. Das schaffen wir heute noch nicht, gehen es aber unbedingt an.
HFV: Wie kann sich das ändern?
Christian Soltow: Natürlich fallen Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen nicht vom Himmel – hier sind vor allem die Vereine und die Mannschaften selbst gefordert. In den Vereinen muss es selbstverständlich sein, dass man auch selbst Schiedsrichterinnen identifizieren und ausbilden muss, wenn man für seine eigenen Spiele Schiedsrichterinnen gestellt bekommen will. Und das gilt für beide Geschlechter gleichermaßen! Es ist also in den Vereinen sehr wichtig, nicht nur einen einzelnen Schiedsrichter-Obmann oder eine Obfrau zu haben, der oder die sich um alles kümmert. Es ist zentral, dass diese Person in der Fußball-Abteilung, im Vorstand etc. integriert ist und dort Unterstützung bekommt und nicht allein gelassen wird. Hier gibt es eine Reihe positiver Beispiele von Vereinen, die einen Zulauf an Schiedsrichter*innen haben, weil sie das klar fördern und auch fordern, und die es nicht tolerieren, dass auf ihren Plätzen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen vorkommt. Es kann also nur ein Miteinander zwischen den Vereinen, den Bezirken und dem HFV sein.
Um den Vereinen den Bereich näher zu bringen, haben wir einen Workshop angeboten, bei dem ein Vereinsvertreter mit sehr gut funktionierender Schiedsrichter-Abteilung, der von dessen „Erfolgsrezept“ berichtet hat. Denn das Thema muss im Verein gesamtheitlich angegangen werden. Das würden wir gern wieder anbieten.
HFV: Gibt es denn Vereine, die sich dem „verweigern“ und gibt es dafür Lösungen?
Christian Soltow: Es gibt auf jeden Fall die Gefahr, dass Vereine, die aktuell genug Schiedsrichter*innen haben – oder sogar mehr als nötig, weil im Jugendbereich weniger benötigt werden –, keine weiteren mehr stellen wollen. Dabei ist es sehr wichtig, den Schiedsrichter-Bereich auf eine breite Basis zu stellen, anstatt sich auf die wenigen, etablierten, vielleicht auch schon älteren Schiedsrichter*innen zu verlassen. Sich als Verein durch Strafen „freizukaufen“ ist nicht solidarisch und kann nicht die Lösung sein, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Dass sich Vereine auch für Neurekrutierung einsetzen, auch wenn sie genug Schiedsrichter*innen haben, wollen wir erreichen. Für diese Vereine wollen wir auch Anreize schaffen. Ein Bestrafungssystem ist gang und gäbe – aber wie wäre es mit einem Belohnungssystem für Vereine, die mehr Schiedsrichter*innen ausbilden, als sie müssen? Diesen Punkt möchte ich gern in den nächsten zwei Jahren angehen.
HFV: Es muss ja nicht unbedingt am Verein liegen, sondern vielleicht auch an den Jugendlichen und Erwachsenen, die keine Lust auf die Schiedsrichterei haben?
Christian Soltow: Hier müssen wir mit Argumenten überzeugen. Denn die Arbeit als Schiedsrichter*in bringt so viel Positives mit sich, dem man sich als junger Spieler oder Spielerin wahrscheinlich gar nicht bewusst ist. Positives auch und vor allem für einen selbst: Die Aufgabe als Schiedsrichter*in fördert die eigene Persönlichkeitsentwicklung und man hält sich sportlich fit. Man lernt Verantwortung zu übernehmen, sekundenschnell Entscheidungen zu treffen und diese auch zu vertreten. Man lernt auch, sein Handeln zu hinterfragen – nicht nur auf dem Sportplatz, sondern auch im Privat- und Berufsleben. Auch Lehrabende machen Spaß und es gibt Patensysteme für junge Schiedsrichter*innen. Man wird also nicht allein gelassen – bei den ersten Spielen und grundsätzlich. Es gibt eine tolle Gemeinschaft – durch Training oder Veranstaltungen wie Sommer- oder Weihnachtsfeiern. Und man hat Aufstiegsmöglichkeiten als Schiedsrichter*in, die man als Spieler*in vielleicht nicht hätte. Und natürlich wird das Ganze auch vergütet. Deshalb ist es trotz aller Alternativen, seine Freizeit zu gestalten, schön, Schiedsrichter oder Schiedsrichterin zu sein!
HFV: Christian, vielen Dank für diesen umfassenden Einblick in den Schiedsrichter-Bereich!
Das Interview führte Jana Münnig.