Bereits zum siebten Mal luden der Hamburger Fußball-Verband (HFV) und LOTTO Hamburg am 18. März zum ODDSET-Talk in die OPUS-Lounge, der Bar im Hotel Le Royal Meridien. Unter dem Leitspruch, „Gestern noch in Windeln – heute schon Profi?! Lebt der Deutsche Fußball den Jugendwahn? Ist die Nachwuchsförderung auf dem richtigen Weg?“, war an der Alster eine illustre Gesprächsrunde zusammen gekommen, die sich aus namenhaften Experten rekrutierte. So nahmen neben Joachim Philipkowski (Nachwuchskoordinator FC St. Pauli) und Uwe Jahn (Verbandssportlehrer HFV) auch Jörg Daniel (Leiter DFB-Talentförderprogramm, ehemaliger Bundesligatorhüter) und Horst Hrubesch (DFB-Trainer und ehemaliger Nationalspieler des HSV) am Treffen teil.
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Nach kurzer Begrüßung der Gäste verorteten die Moderatoren Dieter Matz (Sportredakteur beim Hamburger Abendblatt) und Carsten Byernetzki (Pressesprecher HFV) die aufgerufene Thematik, indem sie auf das frühe Scheitern der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2000 in den Niederlanden und Belgien hinwiesen, als man sieglos in der Vorrunde die Segel strich. Das damalige Ausscheiden – ein herber Stich in Deutschlands Fußballseele – zog in der Folge weitreichende Konsequenzen in puncto Nachwuchsförderung mit sich. Eine zentrale Maßnahme: Von der Saison 2001/02 an mussten alle Klubs der Bundesliga über Nachwuchsleistungszentrum verfügen, ein Jahr später war dies auch für die Vereine der 2. Bundesliga verpflichtend.
„Anfang 2000 wurde sich die Mühe gemacht, gründlich Inventur zu machen“, blickte Daniel zurück auf eine Zeit, in der die Jugendarbeit des Deutschen Fußballs am Boden lag. Mehr als ein Jahrzehnt später verhalten sich die Dinge bedeutend positiver. Hoffnungsvolle Talente gibt es allenthalben, und die Nationalelf hat durch ihre jüngsten Erfolge – Halbfinale bei der EM 2012, Platz 3 bei der WM 2010 – ihren Stellenwert im Weltfußball zurückerlangt. Dass dies so gekommen ist, liege am „einmaligen Fördersystem und an der guten Vereinsstruktur“, betonte Daniel, ehe Jahn auf die Frage Bezug nahm, welche Rolle Hamburg im Bundesland-Konstrukt spiele. „Von der Statistik her sind wir zufrieden. Wir haben aktuell elf Spieler in Deutschen Nachwuchsnationalteams“, erklärte der Verbandssportlehrer, drückte gleichwohl seinen Missmut über die Zusammenarbeit mit dem Hamburger SV aus. Vor eineinhalb Jahren hatte der Traditionsklub die Zusammenarbeit mit dem HFV überraschend aufgekündigt. „Wir mussten unsere Kader völlig neu aufstellen“, konstatierte Jahn, dem insbesondere die Art und Weise des Vorgehens ein Dorn im Auge war.
Von Hamburg wurde folglich wieder der Bogen zu den übrigen Bundesländern gespannt. Daniel: „Aus DFB-Sicht ist es eigentlich egal, woher die Talente stammen. Generell spielen viele Faktoren dabei eine Rolle wie z.B. die jeweilige Bevölkerungsdichte.“ Wichtig sei letztlich nur, dass Jugendliche nicht mehr durch das Raster fallen. Hrubesch wies in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit des Breitensports und der Stützpunkte hin, womit in der Runde die Frage auf den Tisch kam, in welchem Alter sich Nachwuchsspieler einem ambitionierten Großklub anschließen sollten. „Als Bundesligist machte es keinen Sinn, einen Acht- oder Neunjährigen zu holen. In den kleinen Vereinen wird gute Arbeit geleistet“, sagte Hrubesch, ehe Jahn konkreter wurde. „Die Basis und die Wurzeln liegen bei den kleinen Vereinen. Man zerstört die motivationale Ebene, wenn Spieler zu früh geholt werden. Soziale Kompetenz und Persönlichkeit müssen erst entwickelt werden.“
St. Paulis Nachwuchschef Joachim Philipkowski sah es so: „Wir sprechen in der Regel Spieler erst mit 12 bis 13 Jahren an und holen viele Spieler in der U14 und U15.“
Dass junge Akteure möglichst lange in ihrem gewohnten sozialen Umfeld bleiben sollten, darüber war man sich einig.
Was hat der DFB in der Zukunft noch vor? Auf Byernetzkis spannende Anschlussfrage hatte Daniel eine konkrete Antwort parat: Man wolle dort hinkommen, dass die aussortierten Spieler in Zusammenarbeit mit den Vereinen noch besser aufgefangen werden. Nicht jeder könne Bundesliga spielen. Es müsse auch die Ebene der dritten Liga und Regionalliga gestärkt werden. Es dürfe keine Lücke entstehen. „Wir müssen dem Einzelnen aufzeigen, wie er im Profifußball Fuß fassen kann. Erst dann ist unser Fördersystem rund!“ Auch beim Umgang mit Misserfolg und Frustration muss der Nachwuchs unterstützt werden, forderte Jahn und hob die zentrale Bedeutung der jeweiligen Familien hervor. Ebenso sei das Mitwirken von Pädagogen sinnvoll, fügte Philipkowski hinzu.
Nichtsdestotrotz: den perfekten Fahrplan zu erstellen, wie man am besten Fußballprofi wird, ist unmöglich, wie auch Jahn weiß. „Es gibt viele Wege. Für Martin Harnik und Max Kruse (beide ehemals SC Vier- und Marschlande, Anm. d. Red.) war es damals beispielsweise das Beste, Hamburg zu verlassen.“ Harnik spielt heute erfolgreich für den VfB Stuttgart, Max Kruse für den SC Freiburg.
Was fehlt, damit die Deutsche Nationalelf mal wieder einen Titel gewinnt, ist eine Fragestellung selbiger Komplexität. Es liegt an Kleinigkeit, wie man unisono bemerkte. „Die Luft nach oben ist verdammt dünn. Der letzte Schritt hängt von vielen Faktoren ab, etwa ob man Glück beim Elfmeterschießen hat. Aber wir können nicht alles erklären. Dann wird es auch langweilig“, lieferte Daniel ein passendes Schlusswort.
DIRK BECKER