Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs – er wurde an diesem Tag vom Deutsche Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind bald 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen viele Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben gestaltet, motiviert und inspiriert – damals wie heute. 50 Jahre, 50 Gesichter: In der großen Serie zum Jubiläum rückt DFB.de prägende Persönlichkeiten in den Fokus. Heute zum Auftakt: die für den Frauenfußball zuständige DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg.
Alles beginnt im Jahre 1970. In Deutschland sind die Auswirkungen der 68er-Studentenbewegung noch deutlich zu spüren. Sozialpädagogikstudentin Hannelore Ratzeburg ist gerade 19 Jahre alt. Sie begleitet ihren damaligen Partner zu einer Veranstaltung seines Fußballklubs, als sie zum ersten Mal auf das Thema Frauenfußball stößt. „Eine sagte: Habt ihr auch gelesen, dass Frauen jetzt Fußball spielen dürfen?“, erinnert sich Ratzeburg. „Und ich dachte: Das ist ja spannend.“ Als vorgeschlagen wird, das Ganze einmal selbst auszuprobieren, ist sie sofort mit von der Partie.
Hannelore Ratzeburg ist wissbegierig, bildet sich in Sachen Fußball weiter, ist diszipliniert und willensstark. Sie spielt selbst, macht die C-Lizenz und trainiert eine Mädchenmannschaft, ist Schiedsrichterin und Abteilungsleiterin im Verein. Fünf Jahre später wechselt sie mit allen Frauen- und Mädchenmannschaften zum Nachbarverein Grün-Weiß Eimsbüttel, weil sie dort bessere Bedingungen ausgehandelt hat: Eine eigene Abteilung, einen eigenen Etat, gute Trainingszeiten, qualifizierte Trainerinnen und Trainer. Sie wird 1972 Gründungsmitglied des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im Hamburger Fußball-Verband und 1980 in das Präsidium gewählt. Ihre berufliche Karriere treibt sie parallel voran, beendet 1977 ihr Studium und arbeitet als Diplom-Sozialpädagogin, zunächst in der offenen Jugendarbeit. 1979 wechselt sie in den Schuldienst, unterrichtet Vorschulkinder und ist nach kurzer Zeit zusätzlich Dozentin am Institut für Lehrerfortbildung.
Im Jahr 1977 wird sie in den DFB-Spielausschuss gewählt, ist nun Referentin für Frauenfußball. Sie hilft Strukturen aufzubauen und ergänzend zur Deutschen Meisterschaft weitere Wettbewerbe für Frauen zu schaffen. DFB-Pokal, Länderpokal und die Frauen-Bundesliga, sie bleibt trotz vieler Skeptiker unbeirrbar. 1980 wird bei der UEFA eine Kommission für Frauenfußball gegründet – mit ihr. Sie ist dabei, als beschlossen wird, eine Frauen-Europameisterschaft auszutragen, setzt sich für die Gründung der Frauen-Nationalmannschaft in Deutschland ein und erlebt diese hautnah mit. 1982 wird das erste Länderspiel der DFB-Auswahl zwischen Deutschland und der Schweiz in Koblenz ausgetragen. Ratzeburg sitzt mit einem flauen Gefühl im Magen im Zug. „Ich hatte Angst, dass es in die Hose geht“, erinnert sie sich. „Ich dachte: Wenn das jetzt nicht funktioniert und wir eine Packung bekommen, dann werden sich die vielen Kritiker bestätigt fühlen. Viele haben doch nur darauf gewartet, dass es schief geht.“ Es geht gut. Die DFB-Auswahl gewinnt 5:1.
Ratzeburg sitzt auf der Tribüne in der ersten Reihe, zittert mit und erlebt eine nie dagewesene Euphorie. „Ich weiß noch, dass wir nach dem Italien-Spiel zurück nach Kaiserau in die Sportschule gefahren sind, wo alle vier Mannschaften untergebracht waren, und die Leute auf der Strecke dorthin Deutschland-Fahnen aus den Fenstern gehängt hatten“, erinnert sie sich. „Das war grandios, etwas ganz Neues.“ Wenige Tage später dann in Osnabrück: Vor 23.000 Zuschauerinnen und Zuschauern im ausverkauften Stadion, der erste EM-Titel mit einem 4:1 gegen Norwegen. Unvergesslich.
2007 wird sie ins DFB-Präsidium gewählt, ist Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball. Der Ausschuss für Frauenfußball und der Ausschuss für Mädchenfußball werden schließlich zum Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball zusammengeführt. Zwei Jahre später zeichnet sie der damalige Bundespräsident Horst Köhler mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland aus. „Sie ist Pionierin und Symbol der rasanten Entwicklungsgeschichte des Frauenfußballs“, sagt er. Am 21. Juni 2011, fünf Tage vor Beginn der WM in Deutschland, bekommt Ratzeburg in Wiesbaden den renommierten Elisabeth-Selbert-Preis, von der Hessischen Landesregierung verliehen. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner bringt es auf den Punkt: „Der große Enthusiasmus von Hannelore Ratzeburg und ihre Hartnäckigkeit haben den Frauenfußball zu dem gemacht, was er heute ist. Damit hat sie, wie die Namensgeberin des Elisabeth-Selbert-Preises, ein Stück Gleichberechtigungsgeschichte geschrieben.“
Eine Funktionärin, die nie vergessen hat, wo ihre Wurzeln sind. Wie alles begann. Und was noch zu tun ist. „Unser oberstes Ziel muss es sein, nicht mehr von Respekt und Würdigung und so etwas überhaupt reden zu müssen, das muss alles selbstverständlich sein“, sagt sie. „Es hat sich viel getan in den fünf Jahrzehnten, vieles ist bewegt worden und hat sich zum Positiven entwickelt. Aber wir können und wollen noch mehr.“ Die Energie, die Leidenschaft, die Motivation der Hannelore Ratzeburg sind ungebrochen: Heute wie damals vor 50 Jahren.
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