Den feiere ich gar nicht. Nee, lass mal.
Warum denn nicht?
Nö. Will ich nicht, mach ich nicht.
Geht es wieder ab in die Sonne? Die letzten Jahre bist Du oft an Deinem Geburtstag in die Türkei geflogen…
Ich hatte schon gebucht, Ägypten diesmal. Nun ist Folgendes passiert. Fünf, sechs Eltern von meinen jetzigen F-Mädchen haben mich gefragt, ob wir nicht uns nicht am 31. Dezember treffen wollen. Eltern! Da habe ich gesagt: Ich blase meinen Ägyptenurlaub erstmal ab und mach das! Da treffen wir uns jetzt irgendwo und sind ein bisschen zusammen, tagsüber. Das mache ich. Tolle Eltern. Und dann fliege ich am 5. Januar los, eine Woche Ägypten.
Ein bisschen wird also doch gefeiert.
Tja, offenbar. Ist gut so.
Wie war das denn, als Du klein warst? Silvester ist ja nicht unbedingt das beste Datum für einen Jungen, um eine Geburtstagsparty mit seinen Freunden zu feiern…
Ich bin ja am letzten Tag des Jahres 1939 geboren. Da war gerade ein paar Monate Krieg. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gab’s gar keinen Geburtstag für mich. Ich komme ja aus Ostpreußen, das dann von den Russen eingenommen wurde. Wir mussten fliehen. Mein Vater war Soldat, wir wussten nicht, wo er ist, ob er überhaupt noch lebt. Als ich laufen konnte, waren wir schon fast auf der Flucht. 1944, ich war keine vier Jahre alt, wurde Königsberg, meine Heimat, schon in Schutt und Asche gelegt. Ich habe nur vage Erinnerungen an die Zeit. Es brannte. Es herrschte Angst. Wir wurden nach Dänemark verschifft, kamen in ein Flüchtlingslager. Das war hart. Wir waren zu dritt. Meine Mutter, mein jüngerer Bruder, ich. Kein Geburtstag, keine Silvesterfeier. Ich habe, glaube ich, auch nie einen Teddybären gehabt in der Zeit. Richtig los für mich ging es erst 1948. Da kam auch der Fußball in mein Leben.
Erzähl.
Wir landeten ja in Salzgitter in einem Flüchtlingslager, in Niedersachsen. Da war auch mein Vater! Da waren Tanten und Cousinen, meine Großeltern. Wir hatten ein paar Zimmer in einer Baracke aus Stein, das war okay. In einem Wohnheim, so hieß das damals. Im Krieg war es noch ein Lazarett gewesen, eine Krankenstation für verwundete Soldaten. Da haben wir dann Weihnachten und Silvester gefeiert. Das war ganz toll. Wir waren zwei Cousins und zwei Cousinen, die Kinder meiner Tante, die wohnten in Braunschweig. Die Familien feierten zusammen. Silvester wurde sich immer verkleidet. Ich war Cowboy. Das war schön.
Hast Du damals im Verein gespielt?
Erst einmal nicht. Ich durfte ja nicht, weil ich sehr dünn war. Unterernährt, ein Strich in der Landschaft. Der Arzt sagte: kein Fußball. Hab‘ ich mich natürlich nicht dran gehalten. Wir haben als Jungs jede freie Sekunde gekickt. Im Lager hatten wir so eine kleine Clique, das war unsere Mannschaft. Wir haben uns Spielerpässe selbst gemalt! Einen Fußball aus Lumpen geschnürt, einen Flickenball. An echte Bälle war nicht zu denken. Einer hatte dann zu Weihnachten einen Ball aus Gummi geschenkt bekommen. Keinen echten Fußball, der sah nur so aus. War für uns aber ein Heiligtum! Mit dem wurde nur zu besonderen Anlässen gespielt.
Hattest Du denn nie einen Trainer?
Doch, natürlich. Aber erst recht spät. Ich bin erst mit 15 oder 16 in den Verein eingetreten. In den SV Barum. Das gehörte auf dem Dorf einfach dazu, und ich war dann auch nicht mehr so dünn. Barum, das waren 800 Einwohner, mit allem, was zu einem Dorf gehört. Sportverein, Schützenverein, ein paar Kneipen, ein Tierarzt, ein Polizist. Und Fritz spielte beim SV Barum.
Wie bist Du zum Mädchenfußball gekommen? Eigentlich warst Du ja Lehrer.
Das hängt auch zusammen. Ist eine lange Geschichte. Die kurze Version: Selbst spielen konnte ich schon früh nicht mehr. Bänderriss mit 23 Jahren. Das war’s mit meiner Karriere als Fußballer. Ich bin über viele Umwege schließlich in Ostfriesland gelandet, in einem Dorf direkt hinterm Deich an der Nordsee. Leybuchtpolder. 13 Kilometer von Norden entfernt, der nächsten Kleinstadt. Mitte der Siebziger war das. Ich hatte Pädagogik studiert und nach mehreren Anläufen auch das Examen geschafft. War ein wilde Zeit damals, und Fritz war nicht immer bei der Sache. (lacht) Na, und dann bin ich an dieser Schule für Lernbehinderte gelandet, so hieß das damals. Eine Förderschule für Kinder, die Probleme mit dem Lernen hatten. Und an der Schule, da habe ich zum ersten Mal ein Mädchen kicken gesehen. Die Louise war das, und ihre beiden Schwestern spielten auch. Man muss wissen, das war nicht normal damals. Der DFB hat ja erst 1970 überhaupt das Frauenfußballverbot aufgehoben. Vorher durften Frauen kein Fußball im Verein spielen. Das muss man sich mal vorstellen. Dass dann da die Louise kickte, auf dem Schulhof mit den Jungs, das hat mich interessiert. Die hat sogar im Verein gespielt! Toll. Ich war ja auch immer so ein Querkopf. Ein Unorthodoxer.
Und Louise hast Du dann trainiert?
Nein, zum Trainieren hat mich der Sascha gebracht. Der Sohn von Nachbarn, dem habe ich Nachhilfe in Deutsch gegeben. Der Sascha, der spielte beim FC Norden Fußball, war da auch Trainer für eine Jungsmannschaft. Und er trainierte zudem die Mädchen in Leybuchtpolder. Da brauchte er auch Unterstützung. So um 1990 herum muss es gewesen sein, da bin ich mit eingestiegen. Zunächst habe ich nur die Hütchen aufgestellt. Eines Abends aber fand ich den Ballsack mit sämtlichen Pässen und einem Begleitschreiben vor der Tür. „Fritz, kannst Du bitte weitermachen“. Tja, dann war ich also plötzlich der Trainer der Mädchen vom SV Leybuchtpolder, F- und E-Mädchen. 20 Mädchen waren das, dann bald 40. Hab‘ ich eben zwei Mannschaften draus gemacht. Ich hatte einen alten VW Bulli-Bus. Damit ging es jedes Wochenende übers Land, Spielerinnen einsammeln. In Leybuchtpolder selbst wohnten ja nur vier oder fünf Spielerinnen. Den Rest habe ich für die Spiele auf den Dörfern eingesammelt. Dann ging es zu den Auswärtsspielen. Moordorf, Greetsiel, Dornum, Hage, Neuharlingersiel… Die weitesten Fahrten, die gingen bis hinter Jever, da sind wir 70 Kilometer und mehr gefahren.
Und dann bist Du irgendwann nach Hamburg und zu Altona 93 gewechselt…
Über Umwege. Anfang der 200er Jahre bin ich nach Hamburg gekommen. Ich wollte erst nur gucken. Mich gemütlich aufstützen und Fußball gucken. Hatte in Hamburg dann hier geguckt, da geguckt. In Lurup, in Wedel. Dann auch in Altona. Da kam dann der Trainer der Frauenmannschaft auf mich zu, den kannte ich schon ein wenig, und der sagte „Hey Fritz, ich habe hier vier Mädchen, die möchten gerne Fußball spielen. Willst Du das nicht machen?“ Zu der Zeit gab es bei Altona die Frauen, dann noch eine C-Mannschaft, vielleicht eine D, da bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Darunter war nichts. Sag‘ ich also: „Jo, kann ich ja mal machen“. In der Hallensaison 2004/2005 habe ich dann angefangen. War interessant. Erst waren es vier Mädchen, dann acht, dann hatte ich schon genug für eine E-Mannschaft. Dann kamen die Freundinnen aus der Schule und die kleinen Schwestern nach, und ich hatte plötzlich schon vier Mannschaften. Ja, so ging das los.
Am Trenknerweg, dem alten Grandplatz, auf dem jetzt Wohnungen gebaut werden, im Staub und im Schlamm?
Auch, klar. Aber auch im Stadion auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn. Erstmal gab’s im jungen Bereich gar nicht so viele Mädchenmannschaften. Toto in Blankenese war schon dabei mit seinen Komädchen, dann drüben in Altenwerder, da war der Egon, dann tauchte auch die Moni von Eilbek auf. Da haben wir so Spielrunden veranstaltet, weil’s sonst nicht genügend Spiele gab, mit zehn, zwölf Mädchenmannschaften. Ich hatte die ganze AJK für mich, da wurden vier Felder gebaut, dann wurde Fußball gespielt. War ne Menge Vorbereitung, hat enorm viel Spaß gemacht. Und natürlich, der Trenknerweg.
Verrate doch mal Deine Trainingsphilosophie. Den Mädchen gefällt’s ja offenbar. Da hört kaum eine auf, wenn sie erst einmal von Fritz begeistert worden ist.
Ja. Es wird nach vorne gespielt. Nach vorne. Manchmal lässt sich ein Ball zurück nicht vermeiden, das ist klar, aber es muss nach vorne gespielt werden. Deswegen habe ich auch nichts mit dem modernen Fußball am Hut. Abseitsfalle. Fallenfußball. Wenn ich das nur höre. Falle, Abseitsfalle. Da stehen die dann alle in einer Reihe, und wenn du Glück hast, hat einer die Fußspitze im Abseits. Dann wird Abseits gepfiffen. Jetzt kommen sie mit Technologie an. Ha, sagen die, jetzt kann nichts mehr passieren, jetzt haben wir die Kalibrierungslinie. Ach, wenn ich das schon höre, Kalibrierungslinie. Da lache ich doch drüber. Diese Linie ist dicker als ein Fuß lang ist. Die verdeckt quasi den Fuß. Und dann sagen die Dämlacks, die Reporter: Es war knapp, aber eindeutig, Abseits. Wenn du ein bisschen Physik kannst, Geschwindigkeit ist Strecke durch Zeit, und wenn das mal so ein bisschen untersuchst, Geschwindigkeiten vergleichst, da kommst du auf ein Intervall von zwei bis drei Metern, die ein Spieler zurücklegt vom vermeintlichen Zeitpunkt, an dem der Ball den Fuß verlässt, bis die Kalibrierungslinie ins Spiel kommt.
Deine Mädels bleiben am Ball. Was ist dein Motivationsgeheimnis?
Nein, ich habe kein Geheimnis. Mir kommt sicher meine Erfahrung als Lehrer zugute. Auf der Sonderschule ist eben, wie auf jeder Schule, Empathie gefragt. Da kommt es nicht so sehr auf Inhalte an, sondern vor allem darum, wie man etwas vermittelt, wie man im Kontakt ist. Nimm jeden, und jede, wie sie ist. Als Trainer habe ich ja die große Qualifikation. Ich habe aber meine Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen. Wie gesagt, da kommentiere ich nicht jeden Fehlpass. Da freut es mich, wenn ein Mädchen, das vermutlich nie in einer Auswahl spielen wird, trotzdem einen Riesenspaß hat und eben am Freitagnachmittag im November im Schlamm gegen die Pille tritt. Oder eben jetzt auf dem Kunstrasen. Es geht um die Ansprache, wie gehe mit der einzelnen um.
Zu Deinen großen Talenten gehört es auch, Eltern zu motivieren. Wie machst Du das? Es ist ja nicht jedermanns Sache, am Sonntagmorgen im Nieselregen beim Auswärtsspiel in Halstenbek-Rellingen ein F-Jugend-Spiel anzuschauen…
Ach, die musst du nehmen wie sie sind. Da muss ich nicht groß motivieren. Ich freue mich, wenn ich ein paar Aktive dabei habe, denn irgendwie müssen die Mädchen ja auch da hinkommen, nach Halstenbek-Rellingen. Meinen Bulli habe ich ja heute nicht mehr. Wenn ich anbiete, wenn ich mich für die Mädchen einsetze und für sie rackere, dann merken das die meisten. Dann merken die Eltern, das ist nicht bloß so ein Larifari-Heini, der da ein bisschen mit den Töchtern herumkickt, nein, der meint das ernst, der tut was, der ist hinterher. Ich frage ja auch nach, wenn eine mal ein paar Wochen nicht zum Training kommt. Es ist ja auch nicht immer leicht. Da gibt‘s Trennungen, da gibt’s Patchwork, da gibt’s Väter, die mit der Tochter übers Wochenende wegfahren, dann hat die Mutter fürs nächste Wochenende Pläne, und dazwischen sitzt ein Mädel, das Fußball spielen will. Ich bewerte das gar nicht, das steht mir nicht zu. Was ich machen kann ist: Fußballtraining anbieten, kicken, mich auf der Ebene kümmern. Ich kümmere mich. Ich bin ein Kümmerer.
Da ist dann der Pädagoge gefragt.