Neue Spielformen im Kinderfußball

Auch die Weltmeisterinnen und Weltmeister von morgen starten in jungen Jahren in einem kleinen Verein. Daher muss sich jede Trainerin und jeder Trainer die Frage stellen: Was sind die Qualitäten der Schlüsselspielerin und des Schlüsselspielers der Zukunft?

Ausgehend von dieser Frage, stellt HFV-Verbandssportler Tim Stegmann die Umstellung der Spielformen im Kinderfußball vor, legt die Hintergründe dar und arbeitet heraus, warum die Kids auf dem Platz stark profitieren.

„Die Ehrenamtlichen in den kleinen Vereinen machen unsere Nationalspieler! Dort wird der Grundstein gelegt. Und je mehr die jungen Spieler Spaß haben, je mehr man ihnen anbietet, desto besser sind sie hinterher.“
Horst Hrubesch [1]

Was die Qualitäten der Schlüsselspielerin und des Schlüsselspielers der Zukunft sind – Diese Frage haben wir oft in Trainer*innen-Lehrgängen gestellt, schließlich sollte sich das Fußballtraining an den (zukünftigen) Erfordernissen des Spiels aus-richten und nicht das widerspiegeln, was möglicherweise in der Vergangenheit erfolgsversprechend war. Die Überschriften, die dann für gewöhnlich von den Trainern*innen genannt werden, gleichen sich erstaunlich oft. Am Häufigsten werden genannt:

• Gute Technik
• 1v1 stark
• Handlungsschnelligkeit
• Entscheidungsschnelligkeit & -Qualität
• Gute Wahrnehmung
• Gutes Spielverständnis
Gleichzeitig stellt sich in den Trainer*innen-Lehrgängen damit verbunden auch die Frage, was man als Coach im Training tun (bzw. anbieten) sollte, damit die entsprechenden Fähigkeiten entstehen können. Hier wurden von den Teilnehmern*innen überdurchschnittlich oft die folgenden Punkte genannt:
• Gewisses Maß an Freiheiten
• Training auf engem Raum
• Spielnahes Training / reale Bedingungen schaffen
• Entscheidungskompetenz fördern
All diese Punkte sind von Trainer*innen aus der Aus- und Fortbildung beim Hamburger Fußball-Verband in den letzten drei Jahren wiederholt genannt worden. Sie bieten gleichzeitig die ideale Begründung dafür, warum eine Änderung der Spiel-formen im Kinderfußball unabdingbar ist, und warum die kommenden Spielformate die perfekten Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kinder im Fußball abbilden.

Eine gute Technik und Entscheidungskompetenz wird vor allem dann gefördert, wenn jedes einzelne Kind möglichst häufig den Ball hat, es also eine hohe Handlungs- und Aktionsdichte im Spiel der Kinder gibt. Dies ist insbesondere in kleinen Spielformen wie dem 2v2 (Bambini / G-Jugend) und 3v3 (F-Jugend) der Fall. Gleichzeitig tragen diese Spielformen den Bedürfnissen der Kinder Rechnung: Das periphere Sehen ist noch nicht so stark ausgebildet, der Hang zur Interaktion eben-so noch gering ausgeprägt. Die meisten Kinder teilen den Ball in diesem Alter ungern – und das ist gut so und bietet eine Vielzahl an Chancen zur Entwicklung sämtlicher motorischer und kognitiver Fähigkeiten, die für den Fußball relevant und wichtig sind.

Gleichzeitig haben die Kinder die Möglichkeit zusätzlich zu den 3v3 Formen, im 5v5 (F-Jugend & E-Jugend) Erfahrungen im Spielen auf Jugend-Tore zu sammeln, dabei den Torschuss so oft es geht zu fördern und gleichzeitig erste Erfahrungen im Tor zu sammeln. Dass die Spitzen-Torhüter*innen der Zukunft bereits in der F-Jugend „feste“ Torhüter*innen waren, ist allerdings eine Mär: Marc-Andre Ter Stegen beispielsweise spielte bis zur U14 als Feldspieler bei Borussia Mönchengladbach, eher er ins Tor wechselte. Unsere Nationalteam-Torfrau Laura Benkarth wurde per „Zufall“ Torfrau und profitiert momentan von ihrer langen Spielzeit im Feld. [2]

Das nebenstehende Modell des DFB geht in seiner Entwicklung auf Dr. Stephan Nopp zurück und versucht die Qualität von Weltklasse-Spieler*innen zu erklären. Es besagt, dass der Prozess des „Wahrnehmen-Entscheiden-Umsetzen“ vor einer jeden Aktion bei jedem*r Spieler*in abläuft. Je schneller und je besser dieser Prozess abläuft (Wahrnehmung der gesamten Spielumgebung, auf dessen Basis dann die bestmöglich umzusetzende Entscheidung (Technik als limitierender Faktor) getroffen werden kann), desto „spielkompetenter“ ist ein*e Spieler*in. In der medialen Berichterstattung werden oft Teilbereiche wie Handlungsschnelligkeit, Spielintelligenz und Kreativität besonders herausgestellt. Dabei umfasst der Begriff der Spielkompetenz all diese Faktoren und geht sogar noch darüber hinaus, da er das situative Ergebnis des Handelns besonders wertet.

Die Argumentation ist daher ebenso einfach wie logisch: Je häufiger jedes Kind am Ball ist, je häufiger es sich ausprobieren kann, je mehr Erfahrungen es im Spielkontext sammeln kann, desto mehr verbessert sich die Spielkompetenz des Kindes, neben der Autonomie und Selbstständigkeit über das Beitragen zum Spiel und zur Teamperformance und so auch das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dies führt zu einem anderen der oben genannten – sehr wichtigen – Punkte: ein „gewisses Maß an Freiheiten“. Dies wiederum führt uns zu einer Schlüsselposition: dem Coach!

Wenn wir uns an den Bedürfnissen der Kinder orientieren, erhalten wir oftmals Hinweise, die viel mehr an der tatsächlichen „Wahrheit“ dran sind, als wenn wir die vermeintlich wichtigsten Ziele durch die „Erwachsenen-Perspektive“ betrachten. Kinder haben große Lust zu spielen und Tore zu schießen. Das Resultat interessiert vielleicht im ersten Moment schon – im zweiten Moment ist es jedoch bereits vergessen, weil ein neues Spiel ein neues Abenteuer darstellt mit der Chance sich auszuprobieren. Im Zuge dessen, dass die künftigen Trainer*innen einer Mannschaft an einem Spieltag also ihre Mannschaft auf mehrere Teams verteilen, um allen Kindern ein hohes Maß an Spielzeit zu garantieren, nimmt sich die*der Trainer*in zurück, überlässt die Spielfläche den Spieler*innen und damit auch das situative Entscheidungshandeln in der Spielsituation. Die neue Rolle de*s/r Trainer*in zeigt sich darin, dass der Coach dezent führt, die Teams zuversichtlich begleitet und die guten Aktionen lobend und feiernd herausstellt. Als emotionaler Verstärker ist der Coach ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der Kinder im Fußball.

Für den Coach der Zukunft kommt es darauf an, Begleiter*in aller Spieler*innen zu sein und dabei einen möglichst großen Freiraum zum Ausprobieren zu gewährleisten. Dies bedeutet auch, dass nicht jedes einzelne Spielfeld, auf dem 2v2 oder 3v3 gespielt wird, mit einem Coach besetzt sein muss. Wir dürfen Vertrauen in unsere Kinder haben, dass sie in der Lage sind, selbstständig Entscheidungen zu treffen. Somit können sie als Persönlichkeiten wachsen. Wir Coaches sind – beinahe wie Designer*innen oder Architekt*innen – dafür verantwortlich, einen guten Rahmen zu schaffen, in dem jedes einzelne Kind zum Glänzen kommen kann – eine Jede und ein Jeder nach ihren/ seinen Möglichkeiten. Dies bedeutet, dass der Coach der Zukunft einen Rahmen bietet, in dem es möglich ist, eigene Ideen in die Tat umzusetzen, viele Dinge auszuprobieren und vielfältige Spielerfahrungen zu sammeln. Dafür benötigt kein Kind jemanden, die/ der am Rand steht und erklärt, was passieren soll – dies passiert auf dem Pausenhof genauso wenig wie auf dem Bolzplatz – und da funktionieren eigene Spielzüge und herausragende Tore genauso wie am Wochenende in den neuen Spielformaten.

Vielmehr darf die Trainerin oder der Trainer der Zukunft ihre/ seine Spieler*innen ermutigen, ihren Einsatz wertschätzen, Hilfestellung durch Fragen geben und möglichst wenig durch ihr/ sein Ver-halten einschränken. Denn was wir uns in jedem Falle bewusst machen sollten, sind die folgenden Kernsätze:

• Jedes Kind gibt sein bestes!
• Jedes Kind spielt Fußball, weil es das Spiel liebt!
• Wir haben als Coach angefangen, weil wir diese Liebe für das Spiel tief in uns tragen!

Jetzt sind wir an der Reihe, diese Liebe für das Spiel auch weiterzugeben und der freien Entfaltung zu überlassen!

[1] Zit. n. Schmidt / Stegmann (2015): Im Glanz des vierten Sterns. S. 150.
[2] Siehe Fußball.de 

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