Hamburger André Becker nahm als Schiedsrichter an der Amputierten Fußball-EM in Frankreich teil, nachfolgend berichtet André von seinem Einsatz:
„Vom 01.06.2024 bis zum 08.06.2024 fand im französischen Évian-les-Bains direkt am malerischen
Genfersee die Fußball Europameisterschaft der Amputierten statt. Der Spielort dürfte treuen Fans
der deutschen Herren Fußballnationalmannschaft bekannt sein, so war das Stadion Camille
Fournier Trainingsplatz unseres Nationalteams während der EM 2016.
Im Jahre 2018 leitete ich das erste Spiel im Amputiertenfußball, motiviert durch die Ausführungen
meines Schiedsrichterkollegen und damaligen Regionalliga Schiedsrichters Mario Schmidt. Er
selbst nahm bereits 2014 das erste Mal an der Weltmeisterschaft in Mexiko als Schiedsrichter teil
und leitete 2017 das EM-Finale zwischen der Türkei und England im Istanbuler Vodafone Park vor
knapp 50.000 euphorischen Zuschauern.
Ursprünglich war der tragische Autounfall von Christian Heintz, seinerzeit Kapitän einer
Rheinlandliga Mannschaft, der ihn sein rechtes Bein kostete. Der Amputierten Fußball bot ihm die
Gelegenheit seinem geliebten Hobby weiterhin nachzugehen. Da anfänglich jedes Team bei der
Teilnahme an einem großen Turnier einen Schiedsrichter stellen musste, kamen wir als
Schiedsrichter zum Amputiertenfußball. Mittlerweile koordiniert Heintz hauptberuflich den
Amputiertenfußball in Deutschland.
Während primär in der Türkei und unserem Nachbarland Polen, der Amputiertenfußball bereits ein
hohes öffentliches Interesse einnimmt, zählt Deutschland nach wie vor zu den kleineren Nationen.
Ungeachtet dessen gelang der Nationalmannschaft Historisches im Turnier mit dem erstmaligen
Einzug ins Viertelfinale. Nach der deutlichen Niederlage gegen die Türkei, standen die
Platzierungsspiele an: In einem umkämpften und abwechslungsreichen Spiel gegen Irland verlor
das deutsche Team unglücklich im Elfmeterschießen, woraufhin es zum alles entscheidenden
Spiel um Platz 7 gegen den Gastgeber aus Frankreich kam. Die Bedeutung dieses Spiels war
enorm, da eben dieser Platz für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2026 berechtigt. Das
junge deutsche Team wusste hier erneut mit hoher Spielfreunde und Teamgeist zu bestechen und
konnte so letztlich souverän die vorläufige Qualifikation erringen.
Für uns Schiedsrichter ging es bereits am 30. Mai nach Frankreich, wo wir gemeinsam durch das
Studium passender Videoszenen eine einheitliche Regelauslegung fokussierten. Die Feldspieler
sind beinamputiert und nutzen Krücken, um sich über den Platz zu bewegen, die Krücke darf aber
nicht zum Spielen verwendet werden und gilt als Verlängerung des Arms. Der Torhüter hingegen
ist armamputiert, gespielt wird auf einem 60 auf 40 Meter großen Spielfeld. Durch das kleinere
Spielfeld, die kürzere Spielzeit von zweimal 25 Minuten, kommt es zu intensiven Zweikämpfen
und schnellen Ballwechseln auf dem Spielfeld.
Gerade als Schiedsrichter besteht die Herausforderung hier, bei einem Kontakt der Krücke mit
dem Ball zu erkennen, ob eine natürliche Haltung oder eine bewusste Vergrößerung der
Körperfläche vorliegt. Die Spiele werden analog zum Futsal von zwei Schiedsrichtern auf dem
Platz und einem dritten Offiziellen geleitet, der entsprechend des vierten Offiziellen im
Profifußballen mitarbeitet. Typischerweise spielen die Mannschaften pro Tag ein Spiel, nach der
Gruppenphase ist ein Erholungstag, woraufhin die Platzierungsspiele und KO-Spiele folgen.
Am Abend nach den Spielen werden die relevanten Szenen gemeinsam betrachtet und die
getroffenen Entscheidungen analysiert. Durch das gestiegene öffentliche Interesse durch Live-Übertragungen und mediale Präsenz, gilt es auch für uns Schiedsrichter durch professionelles
Auftreten und eine hohe Entscheidungsqualität zu bestechen. Highlight im Turnierverlauf für mich war der Einsatz beim Halbfinale zwischen Spanien und England, welches in der Nachspielzeit durch ein Solo des spanischen Ausnahmespieler David Mendes Mendes entschieden wurde.
Das Finale bestritten die Spanier gegen den amtierenden Welt- und Europameister aus der Türkei,
der bei jedem seiner Spiele auf den lautstarken Support tausender Fans bauen durfte. Die Türken
wurden ihrer Favoritenrolle gerecht und konnten so ungefährdet ihren dritten Titel in Folge
erringen.
Auf Bundesebene beginnt in naher Zukunft die diesjährige Bundesligasaison, der Hamburger
Spieltag findet voraussichtlich am Wochenende des 13. – 14. Juli auf der Paul-Hauenschild-
Anlage des Hamburger SV statt.“
Vielen Dank an André für diesen spannenden und ausführlichen Bericht! Ebenso ein großes Dankeschön für deinen Einsatz.