8. ODDSET-Talk – DFB-Präsident Wolfgang Niersbach besucht den HFV

„Wir mussten erst in ein Tief fallen“

Zur achten Auflage des ODDSET-Talks des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV) am 1. November 2013 hießen Carsten Byernetzki (HFV-Pressesprecher) und Dieter Matz (Redakteur Hamburger Abendblatt) einen ganz besonderen Gast willkommen: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach stand dem Moderatorenduo im Restaurant „Jenfelder Au“ Rede und Antwort und berichtete sechs Monate vor der WM in Brasilien über die aktuelle Situation in Fußball-Deutschland.

Auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (Mitte mit Carsten Byernetzki und Dieter Matz) unterstützt die HFV-Kampagne „Hamburgs Fußball zeigt Flagge“

Viele Fotos vom 8. ODDSET-Talk gibt es in der Bildergalerie auf hfv.de

Wenige Tage nach dem DFB-Bundestag in Nürnberg am 24. und 25. Oktober erwartete die geladene Gästerunde ein breites Themenspektrum. Trotz seines straffen Terminkalenders – unmittelbar nach der Veranstaltung musste Niersbach auf direktem Wege zum Flughafen – erlebte das Plenum im HFV-Restaurant einen überaus entspannten Präsidenten. Mit Charme, Gelassenheit und der nötigen Portion Witz stellte sich der 62-Jährige dem Fragenmarathon und blickte dabei zunächst auf seine eigenen Anfänge zurück, wie der gebürtige Rheinländer über die Tätigkeit als Sportberichterstatter beim DFB landete und schließlich Pressechef der EM 1988 in Deutschland wurde. Es begann eine steile Karriere, die nach der Bekleidung des Postens als DFB-Generalsekretär ihren vorläufigen Höhepunkt im März 2012 erlebte, als Niersbach einstimmig zum neuen DFB-Oberhaupt gewählt wurde. Auf die Frage, ob ihn das höchste Amt im deutschen Fußball verändert habe, antwortete er: „Es ist mein eigener Anspruch, mich nicht zu verändern. Sicherlich habe ich meinen eigenen Führungsstil. Aber ich war und bin immer ein Teamplayer.“

Von links: Dieter Matz, HFV-Präsident Dirk Fischer, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Carsten Byernetzki

25 Jahre Arbeit im Dienste des DFB, 40 Jahre Tätigkeit im Fußballumfeld. Dass Niersbach außerordentliche Besonnenheit ausstrahlt, wurde den Zuschauern bereits nach den ersten Sätzen offenbar. Und so kann Niersbach selbst ein „Phantomtor“, wie es kürzlich Stefan Kießling beim Spiel seiner Leverkusener gegen 1899 Hoffenheim erzielte, nicht aus der Fassung bringen. Die persönliche Erfahrung und das gute Team drum herum würden ungemein helfen.
„Regt es Sie manchmal auf, wenn behauptet wird, die deutsche Nationalmannschaft müsse im Sommer Weltmeister werden?“ Die Frage von Dieter Matz wusste Niersbach letztlich doch aus der Reserve zu locken. Ja, antwortete der Präsident, der Gewinn des WM-Titels hänge von so vielen Kleinigkeiten ab, dass so eine Formulierung unangebracht sei – ein unglücklicher Platzverweis beispielsweise könne bereits über Sieg oder Niederlage entscheiden. Nichtsdestotrotz habe man eine Mannschaft beisammen, die aufgrund ihres Potentials und ihrer Substanz Weltmeister werden könne. In der Breite sehe er lediglich im Sturm und auf den Außenverteidigerpositionen Defizite.

ODDSET-Talkrunde (v. lks.): Carsten Byernetzki, Wolfgang Niersbach und Dieter Matz

„Ein System, das funktioniert“
Dass es allgemein so gut um den deutschen Fußball steht, sieht Niersbach im Umbruch, der im Jahr 2000 nach dem EM-Vorrundenaus der Nationalelf in den Niederlanden und Belgien einsetzte, begründet. „Am Anfang gab es enorme Widerstände, dass Leistungsnachwuchszentren für Bundesligisten zur Pflicht wurden. Mittlerweile ernten wir aber die Früchte. Wir mussten erst in ein Tief fallen.“

Souverän und sympathisch: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach

Mit Kevin Volland, Bernd Leno, Marc Andre ter Stegen und Co. habe man hervorragende Nachwuchsspieler, sodass es bei der Nominierung des WM-Kader 2014 vermutlich sogar zu Härtefällen kommen werde.
Nicht alles ist Gold, was glänzt. Diese Weisheit findet auch beim DFB ihre Berechtigung. Mit Blick auf den demografischen Wandel, der mit sich bringt, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden, sagte Niersbach: „Wir haben ein System, das funktioniert, müssen aber um den Nachwuchs kämpfen. In der Altersklasse der zehn- bis 14-Jährigen haben wir zuletzt viele Mannschaften verloren.“ Auch wenn die Gesamtentwicklung der Mitgliederzahlen weiter steigend sei, habe das Konsequenzen auf die Basis und auf das Ehrenamt. Ohnehin verdiene der Begriff Amateur viel mehr öffentliche Wertschätzung, da eben jener mit Liebe und Leidenschaft dabei sei.
Die Rolle der zweiten Profimannschaften im deutschen Fußball, die Furcht um eine Zweiklassengesellschaft in der Bundesliga, Pyrotechnik und Zuschauerausschreitungen, die WM-Vergabe an den Wüstenstaat Katar – Niersbach nahm an diesem Abend in Hamburg-Jenfeld auch zu komplexen Themen Stellung und bekräftigte zum Ende hin die Absicht, dass sich der größte Sportverband der Welt auf die Austragung der EM 2024 bewerben wird. Fußball-Deutschland hat sicher nichts dagegen. DIRK BECKER

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