5. LOTTO-Talk des Hamburger Fußball-Verbandes

Der LOTTO-Talk im Video

5. LOTTO-Talk mit Birgit Hasselbusch, Lutz-Michael Fröhlich, Dennis Krohn, Susann Kunkel, Patrick Ittrich und Carsten Byernetzki (v. lks.) - Foto Gettschat

Warum wollen viele Unparteiische einerseits gar nicht mehr auflaufen und weshalb ist die Schiedsrichterei andererseits so ein toller Sport? Wo liegen die Probleme und wo liegen die Lösungen? Das Thema „Schiedsrichter“ stand im DFB-Jahr der Schiris im Mittelpunkt beim „5. LOTTO-Talk“ am 17.04.2023 im Hotel „Le Meridien“. Die Gastgeber des Abends: Birgit Hasselbusch (Sportkommentatorin, Buchautorin) und Carsten Byernetzki (Pressesprecher Hamburger Fußball-Verband). Die illustre Gästeliste: Lutz-Michael Fröhlich (Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB-Schiri GmbH), Susann Kunkel (Ex Frauen-Bundesliga-Schiedsrichterin, SR-Ausschuss Schleswig-Holstein), Dennis Krohn (Bezirks-Schiedsrichter-Ausschuss Bergedorf und SR-Obmann TSV Reinbek) sowie Patrick Ittrich (Hamburger Bundesliga-Schiedsrichter).

„Egal was ist, ich bekomme eh immer Prügel“, sagte Hamburgs Top-Schiri Patrick Ittrich einst in einem „ZEIT“-Interview. Und dennoch: „Die Schiedsrichterei hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Das ist ein so hohes Gut. Wir müssen anfangen, dieses tolle Hobby ausschließlich positiv nach draußen zu vermitteln – denn die Ansprechpartner sind da draußen“, so der für den MSV Hamburg pfeifende Referee, der seit 2003 DFB-Schiedsrichter ist. Da Fußball der größte Sport sei, müsse man „die Illusion lassen, dass es keine Pöbeleien mehr geben wird. Die wird es immer geben. Es geht nur, indem man Möglichkeiten schafft, diese einzudämmen.“

„Es stärkt unglaublich das Selbstbewusstsein“

Als Unparteiischer gehe es schon damit los, „dass man Entscheidungen trifft. Das macht kaum ein junger Mensch in seiner Freizeit. Es stärkt unglaublich das Selbstbewusstsein“, weiß Dennis Krohn, wovon er spricht. „Man hat ein Strahlen im Gesicht, wenn man sein erstes Spiel beendet hat. Das ist ein großartiges Gefühl und erzeugt bei mir Gänsehaut.“ Doch in den letzten Jahren sei „der Respekt untereinander, dass wir miteinander agieren“, ein Stück weit verloren gegangen. „Wir gehen unserem Hobby genauso ernsthaft nach. Da wünsche mir, dass man uns so auch behandelt – als Teil des Sports.“

„Ich bin nicht daran interessiert, dass es im Amateurfußball knallt“

In die gleiche Kerbe springt Ittrich, der es auch auf Profi-Ebene als „verpflichtend“ ansieht, „dass man weiß, was es heißt, Schiedsrichter zu sein, so dass der Respekt vor dem Amt wieder hergestellt wird“ und die „Gleichgültigkeit“ abhandenkommt. Mit Transparenz und Offenheit müsse man dafür sorgen, „den Job attraktiver zu machen. Wir müssen gucken, dass wir wieder zur Praxis kommen. Das geht nur mit Elan von allen Seiten. Wir reden immer viel zu viel, aber wir machen nicht.“ Man habe „die Verpflichtung, Vorbilder für den Fußball zu sein“, aber sobald das (Flut-)Licht angeht, würden sämtliche Vorhänge fallen. „Ich kann Emotionen verstehen, aber nicht, wenn sie respektlos werden.“ Denn: „Natürlich wird das in den untersten Ligen nachgeahmt. Und ich bin daran interessiert, dass es im Amateurfußball nicht knallt“, betont Ittrich.

Susann Kunkel, Patrick Ittrich und Carsten Byernetzki (v. lks.) – Fotos Gettschat

Auch aus diesem Grund ist Krohn so wichtig, dass man ausnahmslos „positiv über die Schiedsrichterei spricht“, die „positiven Aspekte noch publiker macht“ und da „auch die Vereine mit reinnimmt. Denn davon lebt der Fußball.“ Um selbst den Weg als Referee einzuschlagen, sei es „sehr wichtig, dass man eine Sportverbundenheit und Affinität zum Fußball sowie Lust hat, sich zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen“, sagt der ehemalige FIFA-Schiri Lutz Michael Fröhlich. Was das Schiedsrichterwesen einem dann geben kann, verdeutlicht die einstige Frauen-Bundesliga-Schiedsrichtern Susann Kunkel: „Ich habe mit Leidenschaft Fußball gespielt, musste aber zwangsläufig aufgrund einer Knieverletzung aufhören. Ich wusste gar nicht, was auf mich zukommt, habe aber eine Gemeinschaft kennengelernt, die einzigartig ist. Für mich dazu noch Charakter-bildend. Mich hat die Schiedsrichterei so weiterentwickelt, dass ich das nur weiterempfehlen und der Jugend näherbringen kann.“

Susann Kunkel – Foto Gettschat

Video-Assistent: Fluch oder Segen?

Trotz Video-Assistent oder auch unklarer Handspiel-Regelung. Zu beiden Themengebieten hat Ittrich eine klare Meinung und Haltung. Durch den VAR sei der Fußball „gerechter geworden, aber nicht subjektiv für den Fußball-Fan“. Der Unparteiische solle „die Hoheit auf dem Platz haben“, was in der Vergangenheit auch so war. „Wenn uns da bei der Entscheidungsfindung diese fünf Prozent gefehlt haben, hat das Bauchgefühl uns diese gegeben. Und es war in den meisten Fällen richtig. Oder der Assistent hat diese entscheidenden fünf zu 100 Prozent gemacht. Der Video-Assistent sorgt dafür, dass wir mehr über die Schiedsrichter diskutieren.“ Der „Kölner Keller“ – Fluch oder Segen? „Natürlich wird es immer Ausreißer geben. Aber Fußball ist ein Ermessenssport. Das heißt: Emotionen, Fankultur und Ermessen machen den Fußball zu dem, was er ist. Wenn wir das nicht akzeptieren, das Fehler gemacht werden, weil wir Menschen sind, dann ist einem nicht mehr zu helfen.“

Birgit Hasselbusch, Dennis Krohn und Lutz-Michael Fröhlich (v. lks.) – Foto Gettschat

Fröhlich dazu: „Wir reden vielleicht über zehn Situationen. Vorher waren es über 150 Situationen. Wo kommen diese negativen Meinungen denn her? Von Clubs, die aus der Betroffenheit Kritik üben. Wenn ein Club davon profitiert, ist das eine super Einrichtung. Wenn nicht, wird er verflucht“, outete sich der Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB-Schiri GmbH als „Traditionalist“. Denn das sei „der besondere Reiz der Schiedsrichterei“.

„Das Ermessen des Schiedsrichters wird nicht akzeptiert“

Gleiches gilt für die Entscheidung: Handspiel – ja oder nein? „Das ist eine Auslegungssache. Es ist nicht immer nur Schwarz und Weiß. Stehe ich nur zwei Meter weiter rechts, entscheidet man anders. Aber das Ermessen des Schiedsrichters wird nicht akzeptiert. Das ist das, was mich wirklich stört“, kritisiert ein auskunftsfreudiger Ittrich. Während Fröhlich befindet: „Man macht immer wieder eine neue Baustelle auf. So auch beim Handspiel. Es gibt Fälle, wo man unterschiedlicher Meinung ist. Aber die Bereitschaft, auch mal etwas zu akzeptieren, ist nicht da.“ Ittrich: „Ich halte es für richtig, die Sachen an den Fan zu bringen, damit der versteht, was wir tun. Denn das, was alle wollen, ist Einheitlichkeit. Das wollen wir auch. Aber viel ist Ermessenssache.“ Und genau damit geht es schon los. „Es muss absichtlich sein. Das ist ja schon der erste Diskussionspunkt. Es ist und bleibt schwer. Und es ist ein leidenschaftliches Thema über das man gerne diskutiert. Auf der anderen Seite möchte ich nicht Abwehrspieler sein und wie ein Pinguin rumlaufen müssen“, bezog Krohn klar Stellung.

„Müssen die Vereine mehr stärken und unterstützen“

Genauso wie zum Aspekt: „Warum kann man in Hamburg erst mit 14 Jahren Schiedsrichter werden?“ Eine Frage, die Krohn in den Raum warf – und gleichzeitig forderte, „mehr an die Schulen zu gehen und Werbung zu machen“, aber auch „die Vereine mehr zu stärken und zu unterstützen“. Sein Wunsch: „Noch mehr Verantwortung in die Vereine zu geben und die Clubs, die viele Schiris haben, zu belohnen“, bezieht er sich auf ein neues vom HFV ins Leben gerufenes Förderkonto.

Birgit Hasselbusch, Dennis Krohn und Lutz-Michael Fröhlich (v. lks.) – Foto Gettschat

Ein ganzes System auf dem Prüfstand? „Die Motivation, Schiedsrichter zu sein, um möglichst schnell in den Elite-Bereich zu kommen, ist nicht die richtige Motivation. In Deutschland wird immer diagonal nach oben gedacht. Aber welche Bergbesteigung hört am Gipfel auf? Dieser Weg wird nicht gewürdigt und dieses Karrieredenken versaut viel“, erwidert Fröhlich. Das Geld könne gerade in den unteren Ligen jedenfalls nicht der Anreiz sein, entgegnet Kunkel. Um auch dem Laien die Frage zu beantworten, wie die „Perspektive Schiedsrichter“ ist, bietet man in Schleswig-Holstein ein Schiri-Praktikum an. „Für Trainer, Spieler, Eltern und alle, die diese Sichtweise erleben wollen. Das ist sehr hilfreich.“ Ihr Versprechen, sich nach der eigenen Laufbahn um den Nachwuchs an der Pfeife zu kümmern, hat Kunkel eingelöst. Mit der gleichen Transparenz und Offenheit will sie „das Positive in den Vordergrund rücken“ und für die Schiedsrichterei „begeistern“.

„Talente werden zu schnell verbrannt“

Doch warum gibt es so wenig Schiedsrichterinnen? „Grundsätzlich fehlt es an der Quantität. Qualität ist vorhanden. Ich kann nur jedes junge Mädchen bestärken, weil es Charakter-bildend ist. Und wenn wir mehr Quantität generieren, werden wir auch mehr Qualität schaffen“, glaubt Kunkel. Während Ittrich in Bezug auf den Schiedsrichter-Nachwuchs das subjektive Gefühl äußert: „Wenn man glaubt, ein Talent zu haben, lässt man es nicht lang genug in den Klassen, sondern verbrennt es zu schnell, so dass es die Lust verliert. Wenn wir es schaffen, die Quantität herzustellen und viel besser auszubilden, werden auch mehr Talente nach oben kommen.“

„Der Spaß ist die Grund-Intention und der Motor“

Auch aus dem Hause Ittrich? „Meine Tochter hat im Oktober den Schein gemacht. Nachdem sie ihr erstes Spiel gepfiffen und danach vom Schiedsrichter-Obmann gefragt wurde, wie es war, hat sie nur gegrinst und gesagt: ‚Es hat Spaß gemacht.‘ Genau das ist die Grund-Intention und der Motor. Mir bringt es auch einfach Spaß“, bekundet der Bundesliga-Referee seine Liebe zur Pfeife. Auch Kunkel nannte ein jüngstes Beispiel bei der Beobachtung eines gerade mal 18-jährigen Schiedsrichters in der Kreisliga Stormarn. „Du guckst am Ende in ein strahlendes Gesicht und bist begeistert, wenn jemand einfach Bock auf dieses Hobby hat.“ 200 Erstliga-Spiele hat Lutz Michael Fröhlich geleitet. Doch auch bei ihm fing alles mal ganz klein an: Beim Schul-Fußball. „Es hat mich vom ersten Moment an unheimlich inspiriert, Entscheidungen zu treffen, durchzusetzen – und die Menschen trotzdem mitzunehmen.“ Es sei aber auch wichtig, „dass man jemanden hat, der einen in den ersten Jahren begleitet und betreut“, so der 65-Jährige.

Während Krohn die Schiedsrichterei mit einem Wort kategorisiert: „Gemeinschaft!“ Eine Gemeinschaft, die in der Persönlichkeitsentwicklung hilft, Charakter-bildend, Selbstbewusstseins-stärkend und einfach begeisternd sei, wie der „5. LOTTO-Talk“ zum Ausdruck brachte.

Text: Dennis Kormanjos

Der 5. LOTTO-Talk im Video:

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