Hannelore Ratzeburg – Die Chefin geht von Bord

„Hanne“ Ratzeburg war überall die erste Frau

Schiedsrichter-Ausweis von Hannelore Ratzeburg

Sie wird vorzugsweise als „die Mutter des Frauenfußballs“ bezeichnet. Gelegentlich auch als „Kanzlerin des Frauenfußballs“. Einige Experten nennen sie „Grande Dame des Deutschen Fußball-Bundes“, andere rufen sie „Chefin“, aber sie könnte auch als „Jeanne d‘Arc des deutschen Frauenfußballs“ tituliert werden. Über all diese Begriffe schmunzelt Hannelore Ratzeburg nur. Sie nimmt sie zur Kenntnis, lässt das alles aber an sich abprallen, denn sie weiß genau, was sie will, was sie ist, und wohin sie der Weg als Vorkämpferin für den Frauenfußball bis heute geführt hat. Cool lächelnd Sie antwortet auf die Frage, ob sie mit diesen Titeln leben kann, cool und mit einem kurzen Lächeln: „Naja, ich bin zuständig für Frauen- und Mädchenfußball.“ Punkt.

Nicht mehr und nicht weniger? Die 65-jährige Diplom-Sozialpädagogin sagt: „Gut, es gibt für mich noch andere Formulierungen. Wenn ich aber zurückblicke auf die Jahre, dann kann ich damit auch leben. Solange es nicht negativ ist, finde ich es doch sehr charmant.“ Ihr sportlicher Werdegang ist phänomenal, er könnte einem fantastischen Film als Vorlage dienen. 1972, da war sie gerade einmal 21 Jahre jung, übernahm sie erstmalig ein Ehrenamt beim Hamburger Fußball-Verband: Mitarbeiterin im Fachausschuss für Frauen- und Mädchenfußball. Es begann ein unaufhörlicher und beispielloser Aufstieg. „Hanne“ Ratzeburg war überall die erste Frau in dem bis dahin nur von Männern beherrschten und geleiteten Fußball. An der gebürtigen Hamburgerin führte schon frühzeitig kein Weg vorbei.

Als die UEFA 1970 den DFB (und andere Länder) aufforderte, den bis dahin verbotenen Frauen-Fußball zuzulassen, war Hannelore Ratzeburg eine der ersten, die sofort loslegte. Sie begann im Verein West-Eimsbüttel, und zwar nicht nur als Spielerin: „Ich ging zu einer Mitglieder-Versammlung und wollte freundlich Ansprüche auf einen normalen Frauenfußball-Betrieb anmelden. Es gab ja keine Strukturen für uns, alles war Neuland. Und gleich bei meinem ersten Auftritt wurde es turbulent, denn die Vereinsführung wollte, dass ich ein Amt übernehme. Dabei war ich noch nicht einmal Mitglied. Ich war 19 Jahre, damals war man mit 21 erst volljährig. Trotz allem holte ein Vorstandsmitglied eilig eine Eintrittserklärung von zu Haus, und die Versammlung legte fest, dass meine Eltern einem Beitritt in den SV West-Eimsbüttel zustimmen würden.“ So locker und leger kam Hannelore Ratzeburg zu ihrem ersten Ehrenamt.

Nach fünf Jahren aber war Schluss bei den „Wespen“. Es ging mit allen Mädchen und Frauen zu Grün-Weiß Eimsbüttel. Eine kleine Revolution. „Wir wollten eine eigene Abteilung, wollten einen eigenen Etat, wollten bessere Trainingsbedingungen, wollten nicht dann trainieren, wenn montags und freitags die Männer nicht wollten, wir wollten gute Bälle und keine alten, abgelegten und eckigen Bälle, die bei den Männern nicht mehr benötigt wurden. Und all das wurde uns bei Grün-Weiß geboten“, erinnert sie sich.

Bis heute ist sie ihrem Verein treu geblieben. Und in dieser langen Zeitspanne hat sie gekämpft, gekämpft und nochmals gekämpft, emsig und mit unglaublicher Beharrlichkeit. Viel Zeit und viel Kraft hat sie geopfert, aber davon mag sie nichts hören: „Das passierte ja alles nach und nach. Wichtig ist, dass man Spaß an dem hat was man macht. Und ich hatte immer Spaß. Und ich musste überall mitmischen.“ Und wie sie mit mischte. Hannelore Ratzeburg wurde im Eiltempo eine ganz große Größe im Hamburger Fußball-Geschehen. Und schon bald auch, und zwar ebenfalls in ICE-Geschwindigkeit, auch in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Eine atemberaubende Karriere.

Dabei hat sie auf ihrem Weg nichts ausgelassen. Sie wurde Trainerin (C-Lizenz), Abteilungsleiterin, Schiedsrichterin, machte den Jugend-Gruppenleiterausweis beim Sport-Bund, und, und, und. „Ich wollte mir nicht nachsagen lassen, dass ich von dem was ich mache, keine Ahnung habe. Und ich wollte selbst auch sicher sein, dass ich diese Dinge beherrsche“, sagt sie zur ihrem vorbildlichen Engagement. 1977 wurde sie Mitglied im DFB-Spielausschuss (Motto: „In Hamburg gibt es eine ‚Verrückte‘, die müsst ihr euch holen“), 1989 Vorsitzende des DFB-Ausschusses für Frauenfußball, 1995 Mitglied im DFB-Vorstand. Sie arbeitete „nebenbei“ auch ehrenamtlich für den Hamburger und für den Deutschen Sportbund. „Hanne“ Ratzeburg war nicht zu bremsen. Genau so, wie sie es bei ihrem Start in Stellingen einst für sich beschlossen hatte.

1980 wurde sie Mitglied der UEFA-Kommission, 1990 für 21 Jahre Mitglied der FIFA-Komission für Frauenfußball, sie ist seit 2007 DFB-Vizepräsidentin – sie ist die mächtigste Frau im deutschen Fußball. Und das alles, weil sie sich in der Jugend schon zum Ziel gesetzt hatte, für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen, weil sie sich für mehr Gleichberechtigung in diesem Land einsetzen wollte. Auch und vor allem in Sachen Fußball.

„Meine Motivation war die Ungerechtigkeit, die damals vorherrschte. Dass Jungs und Männer alles machen konnten, und dass Männer den Frauen vorschreiben konnten, was sie machen können und dürfen. Das hat mich als Kind schon immer gestört. Dass wir Mädchen nicht Fußball spielen dürfen, war doch höchst ungerecht. Dagegen wollte ich angehen, und als es uns dann 1970 offiziell gestattet wurde, habe ich mir gesagt: ‚Jetzt erst recht, jetzt geht es los.‘ Und dann gab es für mich auch kein Halten mehr“, sagt sie rückblickend und fügt hinzu: „Es war nicht immer einfach. Nein, es war mitunter auch echt schwierig. Weil ich in der ersten Zeit immer das Gefühl hatte, ich müsste alle missionieren. Das war oft anstrengend. Ich glaubte, ich müsste alle und jeden davon überzeugen, dass Frauen und Mädchen Fußball spielen müssen.“

Schwierigkeiten, die natürlich längst der Vergangenheit angehören. „Ich habe mich damals nicht verbiegen lassen, und ich wollte bleiben wie ich bin. Gelegentlich aber war ich schon unsicher, ob mir das auch gelingt. Deswegen habe ich öfter meine Freunde gefragt, ob ich mich in irgendeiner Form verändert habe, doch als mir stets bescheinigt wurde, dass mit mir alles okay sei, da war ich zufrieden und bin meinen Weg gegangen.“ Wobei sie, wenn sie an ihre fußballerischen Anfänge denkt, ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken kann: „Außer Torwart und auf den Außenpositionen habe ich alles gespielt, meistens aber Libero.“ Und auf ihre fußballerischen Stärken angesprochen, sagt sie lachend: „Naja, ich habe ja zu spät mit dem Fußball begonnen. Technik lernt man als ganz junger Mensch am besten.
Meine Fähigkeiten waren begrenzt, aber als rustikal würde ich meine Spielart nun auch nicht bezeichnen. Ich habe mit großer Begeisterung gespielt. Und ich habe alles eingesetzt, was mir zur Verfügung stand.“ Letzteres könnte früh ihr Lebensmotto geworden sein.

So hat sie sich auf alle Fälle ihren Namen gemacht. Ihr wird längst attestiert, dass sie enorm viel für die Emanzipation und die Gleichberechtigung der Frauen in diesem Land geleistet hat. Es wurde nicht nur zur Kenntnis genommen, sie wurde deshalb auch vielfach mit silbernen und goldenen Ehrennadeln geehrt. 2009 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, 2011 den Elisabeth-Selbert-Preis. In der Laudatio hieß es damals: „Der große Enthusiasmus von Hannelore Ratzeburg, und ihre Hartnäckigkeit, haben den Frauenfußball zu dem gemacht, was er heute ist. Sie hat ein Stück Gleichberechtigungs-Geschichte geschrieben.“ Ein gehöriges Stück.

Und bei all diesem immensen Einsatz hat sie sich stets auch beruflich weiterentwickelt. Weil ihr das Gymnasium (als Mädchen) verweigert worden war, machte sie über den zweiten Bildungsweg ihr Abitur. Sie studierte Sozialpädagogik, wurde Vorschullehrerin, bildete sich auch als Lehrerin weiter. Wer rastet, der rostet – sie ist eine Powerfrau, diese Hamburgerin.

Sie hat einst den Länderpokal für Frauen ins Leben gerufen, obwohl die Männer entsetzt und geschockt reagierten: „Muss das denn sein?“ Ihre spontane Antwort: „Natürlich muss das sein. Ihr spielt doch auch einen Länderpokal aus.“ Das saß. Sie hat einst auch den DFB-Pokal für Frauen gestartet, sie hat die Oberliga Nord ins Leben gerufen, und sie hat, als einst eine Frauen-Nationalmannschaft für eine Europameisterschaft benötigt wurde, auch dafür gesorgt, dass Deutschlands Frauen am Start waren. Sie packte an, sie packte zu, nichts schreckte sie ab – sie hat nie aufgegeben. Für sie gab es keine zu hohe Hürde, sie hat alle, wirklich alle Widerstände besiegt.

Und sie ließ sich auch durch Macho-Gehabe der Männer nicht aus der Ruhe bringen. Ein kleines Beispiel? Als kurz nach der Wende für Hamburg ein Länderpokalspiel in Bad Doberan gegen Mecklenburg-Vorpommern anstand, fielen am Rande drei Männer unangenehm auf. Die Herren der Schöpfung lästerten ohne Ende, forderten – natürlich – den Trikottausch der Damen, und als das Spiel beendet war, trugen sie lauthals und unverblümt eine Bitte vor: „Wir möchten mit euch duschen gehen.“ Das war das Zeichen. Hannelore Ratzeburg: „Sibylle Stein und ich beschlossen dann, uns den Mann mit der größten Klappe zu greifen, um ihn mit in die Kabine zu schleifen. Zum Duschen. Bis zur Kabinentür hat er sich mit Händen und Füßen gewehrt, dann siegte seine Kraft – er befreite sich und suchte schnellstens das Weite. Große Klappe, nichts dahinter.“

Ihre Ämter im DFB und in der UEFA wird sie behalten, seit zwei Jahren aber steht fest, dass sie beim Hamburger Fußball-Verband aufhören wird. Beim HFV-Verbandstag am 16. Juni ist Schluss. Der Grund: „Auch an ehrenamtliche Funktionen muss man Ansprüche stellen. Und ich habe den Anspruch für mich, dass ich Termine in Hamburg wahrnehme. In Hamburg kann ich das vielleicht noch steuern, mit den DFB-Terminen klappt es nicht mehr ganz so gut. Ich war in letzter Zeit nicht so viel bei den Vereinen, nicht mehr auf den Fußballplätzen in Hamburg. Ich brauche Zeit, um Dinge aufzuarbeiten, um mich zu erholen. Ich habe aber den Anspruch für mich, dass ich präsent bin, und dem werde ich nicht mehr gerecht.“

Es ist alles seit langer Zeit geregelt. Hannelore Ratzeburg weiß, dass es beim HFV gut und nach ihren Vorstellungen weitergehen wird: Andrea Nuszkowski wird meine Nachfolgerin, und sie bekommt von mir jegliche Unterstützung – wenn sie es braucht. Das habe ich versprochen. Ich kann ihr ja alles erzählen, und sie wird ihre Sache ganz sicher bestens machen.“

So wie die „Chefin“ es vorgemacht hat, über Jahrzehnte. Gibt es eigentlich Menschen, mit denen Hannelore Ratzeburg kein Bier trinken würde – und Menschen, die mit ihr kein Bier trinken? Sie überlegt nicht lange: „Klar gibt es die. Sowohl als auch. Obwohl ich glaube, dass meine Akzeptanz eigentlich sehr groß ist. Aber sicher gibt es Leute, die mit mir kein Bier trinken würden, und umgekehrt würde ich auch mit einigen Menschen kein Bier trinken. Aber es ist mir im Grunde genommen auch egal – in meiner Gegenwart reden sie nicht über mich, das ist doch okay.“

Und, Frau Ratzeburg, zum Schluss: Sind Sie nicht ein wenig stolz darauf, was Sie für den deutschen Fußball erreicht haben? Es kommt eine kurze Gegenfrage: „Stolz?“ Kurze Pause. Sie überlegt. Dann sagt sie: „Stolz ist ja auch so ein Ding . . . Aber schon. Stolz bin ich darauf, dass aus dem, was ich damals mal begonnen habe, als ich da in Stellingen so reingeschliddert bin, frei nach dem Motto ‚Denn sie wissen nicht, was sie tun‘ – was daraus letztlich geworden ist, darauf bin ich schon stolz. All diese kleinen Schritte, die ich gemacht habe, bis heute. Wenn man es denn so nennen will – ich bin schon stolz darauf, dass heute so viele Mädchen und Frauen Fußball spielen.“

Ihr Name wird auf immer und ewig mit dem deutschen Frauen-Fußball verbunden sein, das ist unbestritten. Egal wie Hannelore Ratzeburg auch genannt wird, ob „Chefin“, „Kanzlerin“, „Grande Dame“ oder „Mutter des Frauenfußballs“ – sie geht als größte Kämpferin für ihren Sport in die Geschichte ein. Und sie kämpft immer weiter. Keine Frage.

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