Gesellschaftliche Verantwortung des Fußballs: „Dürfen die Schraube nicht überdrehen“

14. ODDSET-Talk im Le Meridien - Fotos Gettschat

Vereine und Verbände engagieren sich und nehmen ihre gesellschaftliche und soziale Verantwortung wahr. Trotzdem beherrschen negative Schlagzeilen über Gewalt, finanzielle Exzesse und Unregelmäßigkeiten die Medien. Ist der Fußball auf dem richtigen Weg? Kann er seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden? Diese Fragen diskutierten im Rahmen des 14. ODDSET-Talks im Hotel Le Meridien am Montagabend die Moderatoren Carsten Byernetzki und Dieter Matz mit ihren Gästen Claudia Wagner-Nieberding (Leiterin AG Vielfalt beim DFB und Präsidiumsmitglied des Hamburger Fußball-Verbandes), Stefan Schnoor (Sportdirektor VfB Lübeck, Fernsehexperte und Ex-HSV-Profi), Holger Stanislawski (Ex-FC St. Pauli-Spieler, jetzt ZDF-Experte) und Tobias Homp (ehemaliger HSV-Bundesligaspieler).

Und die Diskutanten kamen am Ende zu einem einhelligen Urteil, das Schnoor und Stanislawski zum Ende der rund eineinhalbstündigen Veranstaltung stellvertretend formulierten. „Ja, der Fußball kann dieser Verantwortung noch gerecht werden. Wir müssen dabei nicht nur auf die Bundesliga schauen, sondern auch auf die Amateur-Vereine, in denen die Ehrenamtler tätig sind. So lange dies so geschieht, wird das funktionieren“, erklärte „Stani“. Schnoor pflichtete der Grundaussage bei, mahnte aber: „Wir dürfen die Schraube oder Spirale aber nicht überdrehen. Wenn das nicht geschieht, dann wird der Fußball diese Rolle in der Gesellschaft weiterhin übernehmen können.“ Zuvor hatte die Runde diverse Themenbereiche angeschnitten – von den irrsinnigen Ablösesummen wie die 222 Millionen, die der Brasilianer Neymar seinen Club Paris-St. Germain gekostet hat, über eine mögliche Fußball-Übersättigung, die Rolle der FIFA sowie das Prozedere von WM-Vergaben bis hin zum Videobeweis. Und wie es sich für die Hansestadt gehört, durften auch der HSV und der FC St. Pauli nicht zu kurz kommen – und das nicht nur, weil auf dem Podium Protagonisten saßen, die früher selbst für die beiden Hamburger Clubs aktiv waren.

Man müsse, so Stanislawski zu Beginn des Talks, Fußballvereine heutzutage als „Wirtschaftsunternehmen mit Emotionalität“ betrachten und sich daran gewöhnen, dass es in Zukunft „immer wieder dreistellige Millionen-Ablösesummen geben wird, auch wenn ich kein Freund davon bin.“ Eine Entwicklung, an der auch Stefan Schnoor wenig Gefallen findet: „Mir macht es nicht mehr viel Spaß. Ich habe kein Sky, kein Eurosport. Ich bin immer noch ein Fan der NDR 2-Radio-Konferenz und gucke anschließend die Sportschau. Es gibt zu viel Fußball im TV. Dadurch wird er kaputtgemacht.“ Tobias Homp sprach derweil davon, dass Fans und Zuschauer „auf Dauer vom Fußball übersättigt“ würden, während Claudia Wagner-Nieberding ebenso befürchtete, „dass der Bogen überspannt wird. Ich überlege, was ich mit diesen 222 Millionen alles in der Verbandsarbeit vor der eigenen Tür machen könnte. Aber wir kriegen dieses Rad nicht mehr zurückgedreht.“ Ein Rad, das – wenn auch mit geringeren Summen – auch beim HSV mit der Verbindung zu Klaus-Michael Kühne gedreht wird. „Investoren machen den Fußball kaputt. Sie ermöglichen es zwar, Stars zu bekommen, die auf dem Markt sind, aber wenn das Ganze nicht solide finanziert ist, muss ich vielleicht auch einfach mal absteigen…“, merkte Homp zu dieser Thematik an, ehe Schnoor die Lacher auf seiner Seite hatte: „Was nutzen einem 120 Millionen von Kühne, wenn du dafür Spieler holst, die sich die Schuhe falsch anziehen.“

Um das große Geld ging es dann auch im Zusammenhang mit der FIFA und der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften, wozu Homp eine klare Meinung äußerte: „Natürlich schadet die FIFA dem Fußball. Es ist nicht verständlich, eine WM nach Katar oder Russland zu vergeben. Da geht es nur ums Geld und um die Vermarktung. Das ist kein guter Weg, aber wir sind in dieser Spirale drin.“ Auch der im Publikum anwesende Journalist Roman Köster äußerte sich – speziell zum Umgang mir Franz Beckenbauer und den Vorwürfen gegen diesen im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland. „Franz ist ein hoch anständiger Mensch. Ich bin traurig und wütend auf die Journalisten, die ihn fertig machen. Es tut mir weh, dass er sich nicht wehren kann“, so Köster, der mit dem derzeit nach einer Bypass-OP in der Reha befindlichen Beckenbauer befreundet ist.

Deutliche Worte gab es zudem in der Debatte um das Für und Wider im Hinblick auf den Video-Schiedsrichter. „Ich bin kein Freund des Videobeweises. Du musst da in Köln ehemalige Fußballer statt Schiris, die nie hochklassig gespielt haben, hinsetzen. Ansonsten macht man mehr kaputt, als dass es hilft“, konstatierte zum Beispiel Schnoor, während Stanislawski feststellte: „Die Grundvoraussetzung für den Video-Schiedsrichter war nicht gegeben. Da wurde nur gesagt: Wir testen das mal. Aber man darf nicht vergessen: Da steigen am Ende Mannschaften ab! Da kann man nicht einfach mal rumprobieren.“

Im Schlussteil widmete sich die Runde dann der gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs. „Der Fußball hat das Potenzial, soziale Kompetenzen zu fördern, allerdings ist das ist kein Selbstgänger. Er kann jedoch die gesellschaftliche Entwicklung nicht aufhalten, wir müssen mit der Entwicklung gehen“, beschied Claudia Wagner-Nieberding und Tobias Homp stellte klar: „Wir haben früher auf dem Feld und auf dem Schulhof Fußball gespielt – das hat verbunden, man hat sich verstanden. Das sind Werte, die verloren gehen.“

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